v.r. Rafael Gil Brand, Birgit von Borstel (Organisation), Prof. Dr. Günther Oestmann, Kocku von Stuckrad
Symposium für Traditionelle Astrologie am 8. Juni 2024 in Berlin
NACHLESE von Anja Knorr
Es war meine erste Teilnahme an einem astrologischen Event in Person. Online hatte ich schon mehrere Veranstaltungsangebote genutzt, aber das persönliche Kennenlernen von anderen Astrologie-Freunden am Samstag in Berlin war doch um ein Vielfaches bereichernder. Auch Herr Dr. Wolfgang Stevens, der Vorstandsvorsitzende des DAV, beehrte die Veranstaltung mit seiner Teilnahme.
Das Symposium, organisiert von Birgit von Borstel, fand zentrumsnah im Stadtteil Neuköln statt, im 3. Stockwerk eines Altbaus mit einem leicht schief gearteten Treppenhaus und alten Dielen im Veranstaltungsraum. Die vielen grünen Hängepflanzen an der Zimmerdecke und das Knarren der Dielen machten diesen Raum richtig urig. Insgesamt waren ca. 35 Teilnehmer da, die den Nachmittag über den vier Vorträgen zur klassischen Astrologie lauschten. Birgit meinte, es waren doppelt so viele Anmeldungen wie letztes Jahr zum 1. Symposium dieser Art! Mittag ging’s dann los. Der erste Vortrag von Prof. Dr. Kocku von Stuckrad beleuchtete das Thema des empirischen Forschungsansatzes in der Astrologiegeschichte im Vergleich zum deutenden Ansatz zur Überprüfung von Hypothesen und wie sich beide Herangehensweisen in die über 5.000-jährigen Geschichte der Astrologie einbetteten. Dem doch recht trockenen und etwas “staubigen” Thema hat Kocku von Stuckrad mit seiner lebendigen Art des Vortragens elegant den Funken der Begeisterung eingehaucht, und im Anschluss an seine Ausführungen ist sofort eine intensive Diskussion im Austausch mit den Teilnehmern und Vortragenden entstanden, die sich vor allem um die aktuellen Forschungsaktivitäten und die Notwendigkeit des Vernetzens zwischen Forschenden drehte. Auch das Potential moderner, neuer Forschungsmethoden wurde angesprochen und nicht zuletzt die nur sehr begrenzt zur Verfügung stehenden (staatlichen) Forschungsgelder. Was müsste wohl passieren, um das Interesse an der Astrologie zu erhöhen und mehr Forschungsgelder frei zu machen? Diese und andere Fragen ähnlicher Natur lieferten zwar keine konkreten Antworten, regten aber dafür zum Nachdenken an und schufen eine schöne Atmosphäre der Verbundenheit zum Auftakt des gemeinsamen Nachmittags.
Im zweiten Vortrag von Herr Prof. Dr. Günther Oestmann tauchten wir in die faszinierende Welt der alten astrologischen Messinstrumente ein. In mühevoller und langwieriger Arbeit hat sich Günther Oestmann auf die Suche nach noch erhaltenen historischen Messinstrumenten der Frühen Neuzeit in verschiedenen Sammlungen und Museen gemacht und systematisch Fotos und Informationen zur Entstehungsgeschichte der einzelnen Kunstwerke zusammengetragen. Denn das waren diese Messinstrumente tatsächlich: wahre Kunstwerke. Der Fokus seines Vortrags lag auf Instrumenten in tabellarischer Form. Das waren kleine Miniatur-Täfelchen, die die wichtigsten Elemente zur Horoskopdeutung eingraviert hatten. Im Taschenformat, so dass man sie wie eine Taschenuhr überall mit hinnehmen konnte und jederzeit parat hatte. Günther Oestmanns Liebe zum Detail durchzog den ganzen Vortrag und ließ mich jedes vorgestellte Messinstrument mit noch mehr Ehrfurcht bestaunen. Und spannend war sein Vortrag auch noch! Stieß er doch bei seinen Nachforschungen auf viele Rätsel und Fragen, auf die er sich keinen Reim machen kann. Warum zum Beispiel wurde ein aufwendiges tabellarisches Messinstrument ganz offensichtlich für den falschen Breitengrad erstellt und war somit auch schon damals für die praktische Anwendung völlig unbrauchbar? “Ich weiß es nicht”, war Günther Oestmanns lächelnde Antwort. Rätsel, die auch im Anschluss zum Vortrag zu einem regen Austausch im Raum führten. Auch bei der Entzifferung der lateinischen Gravuren auf den kleinen Täfelchen halfen die Teilnehmer und die anderen Vortragenden fleißig mit.
Danach führte uns Rafael Gil Brand in die Bedeutung der Dispositoren in der klassischen Horoskopdeutung ein. Mithilfe von Zitaten verschiedener antiker Astrologen und anhand von Horoskopbeispielen, allesamt mit siderischem Tierkreis und Ganzzeichenhäusern, was für mich erstmal ein Umdenken erforderte, veranschaulichte er das Wesen und die unterschiedlichen Funktionen der Dispositoren und ihren Stellenwert als wichtiges Instrument in der Horoskopdeutung. Auch das umfangreiche Thema der Rezeption war Teil der Ausführungen. Am Ende seiner Vortragszeit war Rafael Gil Brand voll in seinem Element und ca. noch die Hälfte der Folien übrig! Aber auch so war mein Kopf bereits bestens gefüllt und er war gerade noch aufnahmefähig für den letzten Vortrag von Birgit von Borstel, der die Ausführungen von Rafael Gil Brand und Kocku von Stuckrad thematisch sehr schön ergänzte: Die Triplizitäten der Häuser. Birgit von Borstel hat geforscht, und zwar auf empirische Art und Weise. Anhand verschiedener Horoskopbeispiele wollte sie die Triplizitäten-Theorie der Häuser überprüfen. Eine alte und etwas weniger gebräuchliche Methode, wonach die drei Triplizitätenherrscher eines Hauses unter anderem den Entwicklungsverlauf des jeweiligen Hausthemas im Leben des Horoskopeigners anzeigen. Dafür hat sie das zweite Haus gewählt, weil das Thema Wohlstand gut messbar ist, und Personen, bei denen die Geburtszeit gesichert ist und die Entwicklung des finanziellen Wohlstandes nachweisbar ist. Sie hat sowohl den tropischen Tierkreis als auch den siderischen Tierkreis zur Überprüfung der Theorie herangezogen, ebenso wie Ganzzeichenhäuser und das zur Zeit der Einführung der Triplizitätentheorie gängige Alcabitius Haussystem. Die zeitaufwendige Untersuchung kam aber zum Ergebnis, dass die Triplizitäten-Methode der Häuser für die Vorhersage der Entwicklung des finanziellen Wohlstandes nicht taugt. Weder am tropischen noch am siderischen Tierkreis, und egal welches der beiden Häusersysteme verwendet wurde. Wer Lust hat, kann nun gerne die anderen Häuser auf diese Theorie hin untersuchen!
Zum Abschluss sind wir dann in einem nahegelegenen Restaurant zusammen Essen gegangen, fast alle Teilnehmer waren mit dabei. Hier konnte dann an Gespräche und Kontakte aus den Pausen zwischen den einzelnen Vorträgen wieder angeknüpft werden. Es war eine sehr bereichernde Veranstaltung für mich, aus der ich nicht nur neues Wissen mitnehme, sondern auch neue Kontakte und das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft von vielen begeisterten Astrologie-Freunden zu sein. Ich freue mich schon auf nächstes Jahr!
Anja Knorr
Mitglied im Deutschen Astrologen-Verband