DAV-Interview mit Ilona Picha-Höberth
„Wir müssen den Menschen darin bestärken, sich mit seinem individuellen Weg, mit seinem eigenen Rhythmus, auszusöhnen“
Ilona Picha-Höberth, geb. 1957, arbeitet als Künstlerin, freie Erzählerin, Autorin von Märchen- und Sachbüchern sowie als Fotografin. Darüber hinaus ist sie seit Anfang der 1990er Jahre als psychologische und systemische Astrologin tätig. Ihre Ausbildung absolvierte sie bei Hermann Meyer. Gemeinsam mit ihrem Mann Gerhard Höberth leitet sie den CreAstroVerlag in Wasserburg am Inn.
Neben ihrer astrologischen Tätigkeit arbeitete sie lange Jahre im Hospizbereich, u.a. als Ausbilderin von Trauer- und Sterbebegleitern, sowie als Dozentin und Seminarleiterin für die Deutsche Multiple Sklerose-Gesellschaft.
In ihrem neuen Buch „Das dunkle Land“ spricht sie über tiefe seelische Erfahrungen, wie Verlust und Trauer, die auch für den astrologischen Berater eine Herausforderung darstellen. Und sie zeigt Wege auf, wie die Verbindung von Astrologie und Märchen helfen kann, damit auf eine ganz persönliche Art umzugehen.
Klemens Ludwig sprach mit ihr darüber, wie sich Märchen und Astrologie wunderbar ergänzen und Klienten gestärkt werden können, ihren ganz individuellen Weg in existenziellen Prozessen zu finden.
DAV: Auf unserem Kongress „Der bestirnte Himmel über mir…“ Ende September wirst du ein Märchen vortragen, aus dem du die Bedeutung der Astrologie für den Umgang mit Trauer und Verlust ableitest. Das klingt ein wenig wie ein Umweg. Benötigt man für den Umgang mit solchen existenziellen Erfahrungen ein Märchen?
Ilona Picha-Höberth: Zunächst mal zu dem Märchen selbst. Ich erzähle ein sehr altes Volksmärchen, das von den sibirischen Chanten stammt, unter denen schamanistische Traditionen und andere ethno-religiöse Einflüsse noch sehr lebendig sind. Ich berufe mich damit also auf eine ganz alte Traditionen, nämlich die der heilenden Wirkung des Erzählens.
Wenn ich Märchen erzähle, rufe ich also archetypische Bilder wach, die tief in uns schlummern und das erleichtert es erheblich, an schwierige, tief verborgene Themen heranzukommen.
DAV: Wenn ich dich richtig verstehe, handelt es sich um ein Astral-Märchen, es geht also auch um die Erklärung der Sternbilder am Himmel?
Ilona Picha-Höberth: Das wäre zu viel gesagt. Es handelt sich – wie immer bei Märchen – um Archetypen. In diesem Fall speziell auch um die seelische Transformation auf verschiedene Daseinsebenen. Unter anderem spielt hier auch eine Bärin eine wichtige Rolle. Gott Torem, der „Gnädige Beherrscher der Welt“ hat sie als Vermittlerin auf die Erde geschickt. Durch ihren Tod wird sie erlöst und als Sternbild an den Himmel gesetzt. Dadurch bekommt dieses Märchen auch einen spirtuellen Hintergrund und zeigt die, gerade bei ethnischen Märchen, sehr weit verbreitete Verknüpfung von Märchen und Mythen.
Die Bärin ist die Vermittlerin zwischen Menschen und Göttern. Im Tod wird sie erlöst und als Sternbild an den Himmel versetzt.
DAV: Aber um noch einmal auf die Eingangsfrage zurückzukommen, worin besteht für dich dabei die Verbindung zur Astrologie? Dass beide Systeme den Menschen Antworten auf wichtige Fragen geben können, liegt auf der Hand. Sie aber zusammenzubringen, ist eher ungewöhnlich. Was bieten denn die Märchen an, das die Astrologie nicht bietet?
Ilona Picha-Höberth: Wie bereits erwähnt, werden durch Märchen archetypische Bilder wachgerufen, die tief in unserer Seele schlummern. Sie sind Teil des kollektiven Erinnerungsvermögens der gesamten Menschheit. Die Märchen spiegeln uns wider, sie verdeutlichen den Prozess, den der Klient durchlaufen muss, in dem aber auch der Berater steckt, zum Beispiel ein Trauerprozess oder ein anders Ereignis, das den Klienten aus seinem vertrauten Raum herausgerissen und ihn in eine Krise gestürzt hat. Das Erleben der Klientin spiegelt uns ja immer auch etwas aus unserem eigenen Erfahrungsschatz wider.
DAV: Das leuchtet ein, aber dann stellt sich die Frage, welche Rolle spielt die Astrologie dann noch? Was hat sie, das über die Märchen hinausgeht?
Ilona Picha-Höberth: Ganz einfach, die Märchen sind die Archetypen, sie vermitteln kollektive Erfahrungen. Sie sind Metaphern, die Anwendung auf alle Stationen unserer Lebensprozesse finden – von der Geburt über Erziehung, soziale Prägung, Erwachsenwerden, Partnerschaft bis hin zu Lebenskrisen, Reife, Alter und Tod.
Dies sind Erfahrungen, die jeder von uns irgendwann machen muss. Aber jeder eben auf seine individuelle Art. Wie das Individuum ganz konkret mit der kollektiven Erfahrung umgeht, das zeigt nicht das Märchen, sondern das offenbart die Astrologie. Deshalb ist beides für mich eine so wunderbare Ergänzung.
Gerade, wenn Klienten zu uns kommen, die in kritischen Lebenssituationen stecken, dann müssen wir uns als Astrologen immer wieder fragen, was wollen wir mit einer Beratung erreichen? Womit ist dem Klienten am meisten geholfen? Damit, dass er am Ende davon beeindruckt ist, was wir, als Außenstehende alles über sein Leben wissen? Oder vielleicht gerade in einer kritischen Situation damit, dass er gestärkt für den nächsten Schritt von uns geht? Gerade in der Beratung von Menschen, die vielleicht noch unter dem Schock eines Verlustes stehen, ist es wichtig, die eigene Eitelkeit hinten anzustellen und sich auf die Erlebniswelt der Klientin einzulassen.
Die Verbindung von Märchen und Astrologie kann helfen, diese Grenze zu erkennen. Es ist das Wissen darum, wie wir allgemeingültige Erfahrungen von individuellem Erleben trennen können, um respektvoll mit Menschen umzugehen.
DAV: Kannst du ein konkretes Beispiel bringen?
Ilona Picha-Höberth: Bei meinen Vorträgen und in meiner Praxis mache ich immer wieder die Erfahrung, dass Menschen oft durch fehlgeleitete Trostversuche, durch Übergriffe und auch durch die gesellschaftliche Vorstellung davon, wie und vor allem, wie lange jemand trauern darf, re-traumatisiert werden. Zum Schmerz des Verlustes kommt dann oft auch noch der Eindruck, etwas falsch zu machen, hinzu. Die Trauer wird verstärkt durch das Gefühl der Scham.
Das Horoskop kann uns helfen zu erkennen, wie unterschiedlich Trauerprozesse von Menschen bzw. ihre individuellen Reaktionen auf traumatische Erfahrungen sind. Es entkoppelt das tatsächliche innere Erleben von den gesellschaftlichen Erwartungshaltungen und Zwängen und das befreit, weil der Mensch sich nicht länger in Frage stellen muss und sich selbst wieder vertrauen lernt.
DAV: Solche Vorgaben sind tatsächlichen in allen psychischen und sozialen Prozessen weit verbreitet. Können wir uns überhaupt dagegen wehren?
Ilona Picha-Höberth: In der Tat halte ich es für existenziell wichtig, dass gerade wir Astrologen uns über die kollektiven Vorgaben, wonach ein Mensch in bestimmten Situationen zu einer bestimmten Zeit dieses oder jenes erreicht haben muss, entschieden hinwegsetzen. Um noch einmal auf das Trauern als existentiellen Prozess zurückzukommen: Ein uranisch geprägter Mensch trauert völlig anders als ein saturnisch oder plutonisch geprägter. Das können nur wir Astrologen erkennen. Unsere Aufgabe besteht in kritischen Situationen in erster Linie auch darin, den Menschen zu bestärken, sich mit seinem individuellen Weg, mit seinem eigenen Rhythmus auszusöhnen, auch wenn dieser Weg von den kollektiven Vorgaben deutlich abweicht.
DAV: Dieser Prozess endet vermutlich nie.
Ilona Picha-Höberth: So ist es. Wir haben als Astrologen noch einen weiteren Vorteil. Durch die Betrachtung der zeitqualitativen Einflüsse können wir erkennen, welche aktuellen Herausforderungen anstehen. Die sind nicht immer nur positiv. Ich wehre mich deshalb entschieden gegen die Haltung, die meint, mit positivem Denken wird alles gut im Leben, und wenn mir etwas Schlechtes wie Krankheit oder Unfall widerfährt, dann habe ich das mit meinen Gedanken, Einstellungen und eventuellen Fehlhandlungen selbst hervorgebracht. Wir sind nicht völlig losgelöst vom Schicksal. Wenn Menschen in Schmerz und Chaos zu mir kommen, ist es mein Anspruch, sie nicht mit pseudo-spirituellen Plattheiten ruhigzustellen, sondern sie auf ihr Sein zurückzuführen und ihnen echten Trost zu geben. Dazu gehört auch die Geduld mir selbst und dem Anderen gegenüber, nicht sogleich nach Ursachen und Lösungsvorschlägen zu suchen, sondern erst einmal anzunehmen, was ist.
Um auf die Bärin zurückzukommen, ihr Tod ist zwar schmerzvoll und tragisch, aber er ist nicht das Ende, sondern sie wird von Gott Torem als Sternbild in den Himmel erho-ben. Das gibt nicht nur ihrem Leben, sondern auch ihrem Sterben Sinn und spendet den Hinterbliebenen Trost und Inhalt. Durch das sichtbare Sternbild findet ihre Trauer einen Ort, an den sie getragen werden kann und an dem die Erinnerung lebendig bleibt. Das möchte auch ich mit meiner Arbeit leisten.
DAV: Herzlichen Dank für diese bewegenden Ausführungen. Wir können uns auf einen sehr berührenden Vortrag freuen.
Weitere Informationen zu Ilona Picha-Höberth auf der Homepage von CreAstro-Verlag
Das Interview führte Klemens Ludwig.