„Das Horoskop ist dann kein Papier mit mehr oder weniger kryptischen Symbolen, sondern es hat einen Eigenwert als Objekt, das mit mir in Kommunikation tritt.“
Interview des Deutschen Astrologen-Verbandes
mit Prof. Kocku von Stuckrad
Kocku von Stuckrad geb. am 6. April 1966 (15:55 Uhr) in Kpandu/Ghana, gehört zu den bekanntesten Religionswissenschaftlern, die Forschungen über die akademischen Grenzen ihres Fachs hinaus betreiben. Er studierte in Köln und Bonn vergleichende Religionswissenschaft, Philosophie und Judaistik. 1999 promovierte er an der Universität Bremen zur Geschichte der Astrologie, drei Jahre später folgte seine Habilitation. Danach arbeitete er zunächst als Gast- und Assistenzprofessor an den Universitäten Bayreuth und Amsterdam, seit dem 1. September 2009 übt er eine ordentliche Professur für Religionswissenschaft an der Universität Groningen aus. Zudem ist er Gründer und Ko-Präsident von Counterpoint Knowledge, einer Wissensplattform, die für alternative Arten der Forschung und Wissensvermittlung offen ist. Sie unterhält einen engen Kontakt zum DAV.
Kocku von Stuckrad hat sich schon früh mit Astrologie befasst und unter anderem das Standardwerk „Geschichte der Astrologie“ veröffentlicht.
Klemens Ludwig sprach mit ihm über die Möglichkeit, neue erkenntnistheoretische Ansätze der Kulturwissenschaft auf die Astrologie anzuwenden, die Weiterentwicklung von Thomas Ring, sowie über seine eigenen Erfahrungen als astrologisch versierter Wissenschaftler im akademischen Betrieb.
DAV: Unser Kongress liegt erst wenige Wochen zurück, aber es lohnt sich, in die Zukunft zu schauen. Du hast deine Teilnahme für das nächste Jahr bereits zugesagt und präsentierst ein sehr grundlegendes Thema, das du „Das Wissen der Objekte“ nennst. Dabei geht es um neue kulturwissenschaftliche Ansätze, die unser Verständnis von Astrologie erweitern können. Das klingt anspruchsvoll. Kannst du das näher erläutern?
Kocku von Stuckrad: Ja, natürlich, und ich freue mich über die Möglichkeit, meine Gedanken auf dem DAV-Kongress im nächsten Jahr vorzutragen. Es gibt derzeit in der Kultur- und Geisteswissenschaft ausgesprochen spannende neue Denkansätze, die Wissen und Erkenntnis nicht nur dem Menschen zuschreiben, sondern dieses Wissen als eingebettet betrachten in die Begegnung zwischen Menschen und nichtmenschlichen Tieren, und sogar zwischen Menschen und „Gegenständen“ oder „Objekten“. Unser Wissen ist von vielen Faktoren abhängig, die sich unserer Kontrolle entziehen, und in der sogenannten objektbezogenen Ontologie geht man dann davon aus, dass Objekte selber Handlungskompetenz (bisweilen auch agency genannt) besitzen. Dies kann zu einem Verständnis der Astrologie führen, wie es schon bei Goethe und einigen anderen vorgezeichnet war. Der heutige Ansatz geht deutlich darüber hinaus und ermöglicht vielleicht sogar eine Weiterentwicklung von Thomas Rings „revidierter Astrologie“.
DAV: Da bringst du einen Säulenheiligen des DAV ins Spiel. Dennoch dürfte dieses Konzept nicht jedem vertraut sein. Kannst du es, und vor allem seine Bedeutung für die Astrologie, noch etwas genauer erläutern?
Kocku von Stuckrad: Wenn ich sage, dass Wissen durch die Begegnung mit einem Objekt geschaffen wird, dann kann ein solches Objekt ein Horoskop sein, ein Planet, sogar Lilith oder die sensitiven Punkte, obwohl die keinerlei materielle Form besitzen. Dieser Ansatz ist nicht so sehr an einer „objektiven Wahrheit“ interessiert, da nichts „als solches“ existiert, sondern immer nur in der Begegnung und Verschränkung mit anderen Faktoren (einschließlich mir selber). Nehmen wir Pluto. Wenn ich über Pluto rede, wird er sozusagen aktiviert. Ich kann Pluto aber nur „begegnen“, wenn diese Begegnung auch von ihm selber ermöglicht wird. Objekten wie dem Pluto agency zuzubilligen, mag für die Astrologie zunächst etwas seltsam klingen, ist aber für die Frage nach Natur, Naturethik, Umweltschutz etc. von enormer Bedeutung. Welche Konsequenzen hat es zum Beispiel, wenn ein Gericht in Indien dem Ganges den Status einer Rechtsperson zugesteht, weil er ein „lebendiges Wesen“ und deshalb mit agency ausgestattet ist? Ähnliche Urteile zum Personenstatus nichtmenschlicher Akteure gibt es in Neuseeland sowie Süd- und Mittelamerika. Damit erscheint die Natur in einem ganz anderen Licht und ist nicht länger dem einseitigen Zugriff des Menschen ausgesetzt.
DAV: Für die Astrologie stellen sich Fragen nach „Rechtsstatus“ oder „Ausnutzung“ ihrer Symbole nicht.
Kocku von Stuckrad: Nein, aber es ist dennoch eine Erweiterung der bisherigen Sicht, wenn die Objekte der astrologischen Bezüge eine Art Eigenleben besitzen. Schauen wir doch einmal auf die Entwicklung der Astrologie in den letzten 100 Jahren. Sie ist im 20. Jahrhundert ganz stark auf den Zug der Psychologie aufgesprungen. Das hat neue Perspektiven eröffnet, aber viel ging auch verloren, vor allem die Integration der kosmischen Dimension. Ich verstehe Thomas Ring, den Begründer der revidierten Astrologie, so, dass er die Astrologie nicht nur als Deutungsinstrument für die Psyche verstanden wissen wollte, wie es heute in den strengen psychologischen Schulen praktiziert wird. Er wollte kosmische Bezüge und Dynamiken über die Psyche hinaus einfangen, er wollte die kosmischen Rhythmen wieder stärker integrieren. Das erlaubt einen neuen, umfassenderen Blick auf die revidierte Astrologie.
DAV: Und du sagst, die neuen kulturwissenschaftlichen Ansätze gehen noch darüber hinaus?
Kocku von Stuckrad: Ja, wenn all die kosmischen Bezüge, mit denen Astrologinnen und Astrologen arbeiten, vom Horoskop angefangen über die Planeten bis hin zu den nicht-körperlichen Punkten oder dem tropischen Tierkreis, der auch nicht in materieller Form existiert, als eigenständige Objekte anerkannt werden, auf die ich nicht nur meine Themen projiziere, sondern die auch direkt mit mir interagieren, dann erhalten diese Bezüge eine erhebliche Aufwertung – und damit auch die Astrologie. Das Horoskop ist dann kein Papier mit mehr oder weniger kryptischen Symbolen, die ich deuten kann, sondern es hat einen Eigenwert als Objekt, das mit mir in Kommunikation tritt.
DAV: Bezieht die objektorientierte Kulturwissenschaft denn die Astrologie mit ein?
Kocku von Stuckrad: Das ist leider nicht, oder höchstens ganz am Rande der Fall. Aber das sollte uns nicht daran hindern, diese Ansätze auf die Astrologie zu übertragen und damit ihr Verständnis zu erhöhen.
DAV: Das bringt mich zu der Frage nach deinem persönlichen Werdegang. Du bist ein renommierter Religionswissenschaftler, Lehrstuhlinhaber – und gleichzeitig Astrologe, der nicht nur viel zur Kulturgeschichte der Astrologie verfasst hat, sondern auch ein Horoskop deuten kann. Wie kommt es zu dieser ungewöhnlichen Konstellation?
Kocku von Stuckrad: Ich interessiere mich seit meiner Jugend für die Astrologie. Dabei habe ich kein bestimmtes Ausbildungszentrum besucht, sondern mir die Astrologie im Eigenstudium beigebracht. Im Universitätsstudium habe ich einen Schwerpunkt auf die Geschichte der Astrologie gelegt und darüber promoviert. Parallel dazu war mir die praktische Deutung sehr wichtig. Astrologie aktiv zu betreiben hat auch mein Verständnis für die historischen Deutungen sehr verbessert.
DAV: Diese Herangehensweise dürfte in den akademischen Kreisen nicht auf uneingeschränkte Zustimmung stoßen.
Kocku von Stuckrad: In der Tat hat mir die Beschäftigung mit der Astrologie beruflich viele Nachteile gebracht. Von drei Stellen, bei denen ich in der engeren Auswahl für die Besetzung eines Lehrstuhls war, ist mir später der Kommentar gesteckt worden „wir wollen keinen Astrologen auf dem Lehrstuhl“.
DAV: Ist das immer noch so oder siehst du eine Entwicklung hin zu größerer Akzeptanz?
Kocku von Stuckrad: Eine große Verhärtung gab es in den 1960er Jahren unter dem Einfluss von Leuten wie Adorno, die man geradezu als „Aufklärungs-Fundamentalisten“ bezeichnen kann. Seitdem ist unter dem Einfluss der Kulturanthropologie oder Ethnologie eine gewisse Entspannung und Veränderung eingetreten. Es gibt einen kritischeren Blick auf die Grenzen unseres Wissens, auf unsere mentalen Gefängnisse. Das Wissen etwa der indigenen Völker wird mehr geschätzt, aber diese neue Offenheit schließt nicht unbedingt die Astrologie mit ein.
DAV: Also kein vernehmliches Klopfen mehr an die Tore der Universität, wie noch C. G. Jung meinte?
Kocku von Stuckrad: Nein, davon vernehme ich nichts.
DAV: Herzlichen Dank für die spannenden Zusammenhänge. Wir freuen auf ungewöhnliche neue Erkenntnisse und Einsichten.
Mehr Informationen über die Arbeit von Kocku von Stuckrad: www.counterpointknowledge.org
Das Interview führte Klemens Ludwig.