Aspektlehre
Von Dr. Christoph Schubert-Weller
2. „Freundlich und feindlich“: Der Kreis und seine Teilung.
Fortsetzung aus Sternenbotschaft Nr. 43, „Aspekte“
Wie kommt es eigentlich zu einer Unterscheidung in „freundliche“ und „feindliche“, in „gespannte“ und „entspannte“ Aspekte? Was macht ein Trigon zu einem „entspannten“, „freundlichen“ Aspekt und was macht ein Quadrat zu einem „gespannten“, „feindlichen“ Aspekt? Ist das in einer psychologisch verstandenen Astrologie nicht eher eine Angelegenheit der Aspektpartner? Oder gar Sache des Horoskopeigners?
Nun, teils durchaus! Betrachten wir eine Aspektkombination von Venus und Jupiter und vernachlässigen wir dabei die jeweilige Häuser- und Zeichenstellung. Egal nun, ob die beiden Planeten im Trigon (entspannt) oder Quadrat (gespannt) zueinander stehen, es geht um Glück, um Schönheitsideale, um liebevolles Vertrauen. Beide Planeten symbolisieren das Edle, Positive und Werthaltige. Wir können uns nun vorstellen, dass jeder Aspekt zwischen Venus und Jupiter deren positive Symbolkraft noch steigert. Wir können uns aber auch vorstellen, dass bei jedem Aspekt zwischen Venus und Jupiter auch die Gefahr der Verschwendung, der Bequemlichkeit und Maßlosigkeit mit gegeben ist. Es könnte ja jetzt auf den Horoskopeigner ankommen: Das Quadrat („gespannt“, „feindlich“) gibt zunächst der Verschwendung des Glücks Raum. Aber der Horoskopeigner lernt aus seinen Erfahrungen und findet zu einer Wertschätzung des Glücks. Und ein Trigon („entspannt“, „freundlich“) beschert zunächst Glück und Vertrauen – bis dass der Horoskopeigner anfängt, leichtsinnig sein Glück herauszufordern, weil er dieses für selbstverständlich hält.
Was also hat es mit der Unterscheidung „gespannter“ und „entspannter“, „feindlicher“ und „freundlicher“ Aspekte auf sich? Die Antwort ist ganz und gar technisch: Die Unterscheidung beruht auf den unterschiedlichen Möglichkeiten der Zyklen- bzw. Kreisteilung.
Aspektlehre, Winkelbildungen im Tierkreis
Quelle: Christoph Schubert-Weller
Ein Kreis kann fortlaufend geteilt werden. Das gilt genauso für den speziellen Messkreis in der Astrologie, den wir als „Tierkreis“ bezeichnen. Dabei macht es einen wichtigen Unterschied, ob die Teilung mit einer Zweiteilung oder aber einer Dreiteilung beginnt.
Grundsätzlich werden auf einem Kreis Winkel zwischen zwei Punkten mit Hilfe von Abständen dieser Punkte in Graden gemessen. Auf dem Tierkreis sind das die Abstände zweier Faktoren (Sonne, Mond, Planeten, Mondknoten, Aszendent, Medium Coeli) zueinander; diese Abstände werden als Aspekte bezeichnet und sie werden ebenfalls in Graden gemessen. „Aspekte“ beziehen sich jedoch auf Faktorenabstände bestimmter Größe.
Die wichtigste Maßeinheit bei der Berechnung von Winkelbildungen auf einem kompletten Kreis, dem so genannten Vollkreis, ist der „Grad“. Ein vollendeter Kreis misst „360 Grad“. Man bezeichnet diese „360 Grad“ des Vollkreises auch als „Vollwinkel“. Teilt man diesen Vollwinkel durch 2, erhält man 180 Grad, die Gradzahl des astrologischen Oppositionsaspekts. Teilt man den Vollwinkel von 360 Grad durch 3, erhält man 120 Grad, die Gradzahl des Trigons.
Betrachten wir zunächst die anfängliche Zweiteilung. Der Ausgangspunkt ist der Vollkreis von 360 Grad. Nun könnte man von zwei Faktoren, die auf dem Messkreis in exakter „Konjunktion“ stehen, auch sagen, dass sie einen exakten „Vollwinkel“ bilden. Wir erinnern uns: Die traditionelle klassische Astrologie betrachtete die Konjunktion nicht als „Aspekt“. Auf dem Weg über die Kreisgeometrie bestätigen wir diese Perspektive der antiken Astrologie: „Aspekte“ kommen durch Teilung des Vollkreises, des Vollwinkels zustande. Die Konjunktion freilich entspricht dem Vollwinkel selbst. Aus der anfänglichen Zweiteilung entstehen u. a. die gespannten, die „feindlichen“ ptolemäischen Hauptaspekte:
Gradzahl | Aspektbezeichnung |
Vollwinkel 360 Grad: | „Konjunktion“ |
Teilung durch 2 = 180 Grad: | Opposition |
Teilung durch 2 = 90 Grad: | Quadrat |
Teilung durch 2 = 45 Grad: | Halbquadrat, Oktil |
Teilung durch 2 = 22,5 Grad (keine weitere Teilung) (1) |
Viertelquadrat |
Die anfängliche Dreiteilung des Kreises führt auf ganz andere Winkel bzw. Aspekte, nämlich u.a. auf die entspannten, „freundlichen“ Hauptaspekte:
Gradzahl | Aspektbezeichnung |
Vollwinkel 360 Grad: | „Konjunktion“ |
Teilung durch 3 =120 Grad: | Opposition |
Teilung durch 2 = 60 Grad: | Quadrat |
Teilung durch 2 = 30 Grad: | Halbquadrat, Oktil |
Teilung durch 2 = 15 Grad: | |
Teilung durch 2 = 17,5 Grad (keine weitere Teilung) (2) |
[1] Das Halbquadrat spielt in einigen astrologischen Schulen, zum Beispiel in der Kosmobiologie und im Modell der „Hamburger Schule“ eine Rolle. Das „Viertelquadrat“ wird, soweit ich blicke, nur in der „Hamburger Schule“ berücksichtigt.
[2] Das Halbsextil wird in einer Reihe von astrologischen Schulen berücksichtigt, so zum Beispiel beim API (Astrologische Psychologie – „Huber-Schule“). Der 15-Grad-Winkel und der 7,5-Grad-Winkel spielen bei der mundanastrologischen Untersuchung von Naturereignissen eine Rolle.
Und nun ein wenig Zahlensymbolik: Die Zahl 2 ist die Zahl der Unterscheidung, der Dualität und Polarität. Insofern handelt es sich um eine Ordnung gebende Zahl, aber es geht dabei fast immer um eine Ordnung, deren Elemente andere, ergänzende bzw. gegenläufige Elemente ausschließen oder in ein Schattendasein drängen. Was aus der anfänglichen Zweiteilung resultiert, erzeugt womöglich Zweifel und Zwiespältigkeit, wo nicht Zwietracht. Wir ahnen, worauf nun die Übertragung der Zweiteilung auf die Bedeutung der damit ableitbaren „Spannungsaspekte“ hinausläuft: Die Spannungsaspekte liefern eine Ordnung, die zwiespältig und eben darum schwierig ist, sie führen zu einer eher irdischen Ordnung, die auf Mängeln und Ausschlüssen beruht. Die Zweiteilung, die Unterscheidung ist ein notwendiger Akt, der zur Einsicht in die Ordnung der Welt führt. Sie schmerzt dennoch. Die Gewöhnung an diese Ordnung ist schwierig und kann misslingen.
Anders die 3, die Zahl der Einheit, die Zahl der umfassenden Synthese, ist zugleich eine spirituelle Zahl. Wer je im Dreiviertel-Takt über eine Tanzfläche geschwebt ist, weiß um Triumph, Trance und Trost des beschwingten Tanzes. Die „Dreieinigkeit“ Gottes ist ein Grundbestand des Christentums. Die Betonung der Drei ist oft sprichwörtlich, wenn es darum geht, das Gute an einem Menschen oder einem Sachverhalt hervorzuheben: „Dreimal musst Du es sagen“, „Aller guten Dinge sind Drei“ usw. Die entspannten, harmonischen Aspekte verweisen auf eine eher himmlische, friedvolle Ordnung, die heilend und integrierend wirkt. Dabei sind beide Ordnungen wichtig und richtig.
5. Der Kreis und seine Zwölfteilung
Wir haben damit über die Geometrie des Kreises ein wenig von der Bildung und der Bedeutung astrologischer Aspekte erschlossen. Verweilen wir noch etwas beim Kreis. Der Kreis als solcher ist eine geniale und keineswegs selbstverständliche Findung. Die Einsicht in den Jahreslauf als Zyklus, als Kreislauf mit rund 365 einzelnen Schritten („Tagen“) und die Abbildung dieses Zyklus auf eine in der Nähe stehenden Idealzahl, nämlich 360, setzt sowohl ein großes Beobachtungsvermögen als auch ein großes Abstraktionsvermögen voraus. Die Gradmessung des Kreises mit der Gesamtzahl von 360 Kreisgraden erinnert stets an den Jahreslauf. Aus der Perspektive der Erde, dem Ort, an dem der beobachtende Astrologe sich befindet, bewegt sich im Jahreslauf die Sonne (scheinbar) vor dem Hintergrund von zwölf prinzipienartig vorgeformten Zonen, den Tierkreiszeichen.
Zwölf Tierkreiszeichen zwölf Monate, die zweimal zwölf Stunden des Gesamttages, die zwölf Apostel im Jüngerkreis von Jesus, die Zwölf über den Begriff des „Dutzends“ als Rechengröße und Maßzahl – wir begegnen der 12 im himmelsmechanischen Alltag und ebenso im Sakralbereich außerhalb des Alltags an zahllosen Stellen.
Die zwölf Tierkreiszeichen stellen ein einfaches und zugleich detailliertes Modell der menschlichen Psychologie und Charakterkunde dar. Ihre Abfolge von Widder bis Fische liefert eine Erzählstruktur individueller und kollektiver Entwicklung. Wir finden diese Erzählstruktur in zahlreichen sprachkünstlerischen Äußerungen vor, und ebenso in altchristlichen Gebeten.
Teilen wir nun den Vollkreis von 360 Grad durch 12, erhalten wir die Kreiszwölftel von 30 Grad. Diese Kreiszwölftel, die ja zugleich der Idealgröße des einzelnen Tierkreiszeichens entsprechen, sind zugleich wiederum Bausteine für die Darstellung der ptolemäischen Hauptaspekte. Denn diese lassen sich als Vielfache der Kreiszwölftel, der 30-Grad-Abschnitte darstellen. Es gilt:
30-Grad-Abschnitt mal 2 = 60 Grad, Sextil
30-Grad-Abschnitt mal 3 = 90 Grad, Quadrat
30-Grad-Abschnitt mal 4 = 120 Grad, Trigon
30-Grad-Abschnitt mal 6 = 180 Grad, Opposition
Wo bleibt die Konjunktion, die ja in der klassischen Astrologie nicht als „Aspekt“ betrachtet wurde? Mit den arithmetischen Mitteln der Antike lässt sich über den Baustein des Kreiszwölftels, des „30-Grad-Abschnitts“ die Konjunktion nicht ableiten. Man kann aber folgendermaßen auch die Konjunktion als Vielfaches des Kreiszwölftels betrachten, freilich im Sinn eines Grenzfalls:
30-Grad-Abschnitt mal 0 = 0 Grad, Konjunktion
Allerdings kannte die antike Arithmetik die Null nicht. – Diese Ableitung der ptolemäischen Aspekte als Vielfache der Kreiszwölftel ist gänzlich anders als die Ableitung der Aspekte aus der Zweiteilung bzw. Dreiteilung des Kreises. Mehr dazu in der nächsten Folge.
Christoph Schubert-Weller
10. Februar 2017