Astrologie für Künstler und Kreative
Von Annette van den Bergh
Dass sich Astrologie und Kunst sehr nahe stehen, ist eine weit verbreitete Vorstellung. Wie diese Verbindung aber genau aussehen kann, beschreibt Annette van den Bergh in einem Beitrag, der theoretisches Wissen in beiden Bereichen und praktische Erfahrung verbindet.
Es ist bekannt, dass viele Astrologen (die männliche Form meint hier Frauen und Männer) einen künstlerischen Hintergrund hatten und haben. Und es ist auch allgemein bekannt, dass viele Kreative, Schauspieler und Künstler wenig Berührungsängste vor Astrologen und deren Beratung kennen. Dennoch wird der Astrologe in der Regel zum Thema Karriere-Planung befragt:
Wann werde ich wirklich erfolgreich sein? Wann kommt mein Durchbruch?
So oberflächlich dieser Frage-Impuls auch scheinen mag, so zeigt sich doch in den darauf folgenden Beratungen, welch enge Verwandtschaft zwischen Kunst und Astrologie bei der Anschauung und Bearbeitung von „Welt“ besteht. Hier möchte ich ansetzen und zum Mut auffordern, Astrologie für Kreative und Künstler nicht vorrangig prognostisch, sondern inhaltlich anzubieten.
Um gleich einem Künstler das Wort zu geben:
…Ihre Aufforderung nun, einen Text zu machen, der für Sie in Betracht käme, ist für mich sehr ehrenvoll u. der Gedanke regt mich auch an. Aber ich bin im Augenblick körperlich und geistig so ermüdet u. ohne Spannung, daß ich an keine Arbeit denken kann…(Briefwechsel mit Paul Hindemith, Fischer TB
Das schrieb Gottfried Benn am 08.07.1930 an Paul Hindemith. Er hatte einen Transit von Neptun in Konjunktion zu seinem Mars im 10. Haus von Beruf und Berufung! Wie rasch hätte ein Astrologe den Dichter, der sich zu dieser Zeit auch in einer neptunischen, finanziellen Pleite befand, von seinen Zweifeln, den Text zu einem von Hindemith geplanten Oratorium zu schreiben, erlösen können. Die Musik: die Heilige unter den Künsten, die Ungreifbare und Alles Ergreifende, diese Chiffre für Transzendenz, sie ist genau die richtige Erlöserin zum richtigen Zeitpunkt für Benn gewesen.
Doch der Künstler ist immer Zweifler und Hingebender zugleich. Und damit so nah an der Astrologie!
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Der Balance-Akt zwischen Determination und Freiheit
Der Künstler und Kreative liefert sich aus: Er folgt dem Ruf seiner „Berufung“ (Determination), übergibt sich der Unabwägbarkeit von Schicksal (Determination und Freiheit) und sagt Ja zum Risiko (Freiheit)! Damit ist er dem Glaubenssatz des Astrologen, der den Mensch für gebunden UND frei hält, sehr nah. Zumal auch fast jeder Astrologe zu hören bekam: „Was? Du willst Astrologe werden? Das ist doch kein Beruf!“
Der Künstler, der seinen Weg beschreitet, geht immer einen Weg der Angst, des Verzichts auf Sicherheit, des Wunsches nach Selbstverwirklichung und Entwicklung seiner ureigenen Anlagen.
Werde Du selbst (aktiv) und lass Dich erfüllen (passiv)!
Welcher tolle Astrologe hat das nicht im Kopf, wenn er berät!
Und welcher Kunst-Schaffende folgt nicht diesem Wunsch und diesem Wissen!
Und so ist das Horoskop für den Astrologen auch eine Schatz- und Landkarte durch das Gestrüpp namens Leben und individueller Anlagen, eine „Stirb- und Werde sowie Fall hin und Steh auf“- Beschreibung mit allem Drum und Dran.
Wie vertraut diese astrologischen Selbstverständlichkeiten für Künstler und Kreative sind, selbst wenn sie sich bisher noch nicht bewusst damit beschäftigt haben, wurde mir spätestens klar, als Isabell sich zu einer Beratung anmeldete.
Das Drama zwischen Schuld und Sühne
Isabell kam zu einer astrologischen Beratung, weil sie, unter einem Pluto-Transit im Sextil zu ihrer Venus, an einer Liebe litt und in ihr schwelgte, die sie selbst als „sich existentiell anfühlend“ beschrieb. Isabell ist studierte Germanistin und arbeitete studienfremd in einer Personalabteilung. Der Mann, in den sie sich verliebt hatte, war Autor und Musiker, lebte als Bohemien von „der Hand in den Mund“ und konnte sie weder als Beziehungspartner noch als Mensch überzeugen. Dennoch fühlte sie sich vehängnisvoll an ihn gebunden und erlebte sich als „mental“ abhängig: „Wenn seine genialische Sprachbegabung nicht wäre…“!
Isabells Horoskop weist eine extreme 10.Haus-Besetzung auf, Merkur ist stark gestellt im Zeichen Zwillinge exakt am MC. Sie erzählte mir, dass sie in sehr jungen Jahren einige Literatur-Wettbewerbe gewonnen habe. Ihre Familie sei jedoch strikt gegen ihre künstlerische Begabung gewesen und so habe sie „die Flausen“ verloren. Eine durch Saturn verletzte Venus-Stellung im 8. Haus verweist auf diesen vehement hemmenden Einfluss der Sippe. Die Liebe zu dem Mann endete auf sehr verletzende Art und Weise, Ihr Wunsch, durch ihn doch wieder einer kreativ-künstlerischen Lebensform nahe zu kommen, wurde so erneut torpediert. Auf astrologisch vermittelte Impulse ging sie von Anfang an so selbstverständlich ein, als seien sie ihr schon lange vertraut.
Kunst überwindet Sprache, Raum und Zeit
Erörterungen und Assoziationen zu ihrer Venus-Stellung im Radix erinnerten sie an die Erlebnisse der Protagonistin in einer antiken Tragödie. Auch hier zeigt sich die Analogie von tradierten Theorien diverser Kunstformen zu astrologischen Vorstellungen und Überlieferungen. Der gemeinsame Ursprung in den Anfängen menschlicher Kulturen ist sichtbar.
„Das Schicksal oder die Götter bringen den Akteur in eine unauflösliche Situation, den für die griechische Tragödie typischen Konflikt, welcher den inneren und äußeren Zusammenbruch einer Person zur Folge hat. Es gibt keinen Weg, nicht schuldig zu werden, ohne seine Werte aufzugeben (was einem tragischen Akteur nicht möglich ist).“ Allein dieses Zitat aus Wikipedia, mit dem der Stoff einer jeden, klassischen Tragödie zusammengefasst wird, ist so nah dran am astrologischen Blick auf das Geschehen, das ein Individuum durch den Transit der äußeren Planeten erleben kann.
Bereits die Namensgebung der Planeten, als Begriff für abstrakte Prinzipien, die alles Seiende beschreiben, konnte Isabell mühelos in ihr Weltbild integrieren, indem sie sich der Welt antiker Mythologie oder den Archetypen in alten Märchen erinnerte.
Dass ein astrologischer Transit häufig 3 Mal über einen Planeten im Radix läuft und damit einem ganzen Entwicklungszyklus entspricht, übersetzte die Germanistin für sich zur Veranschaulichung durch das Modell der 3 Akte: Exposition, Konfrontation und Auflösung!
Isabell hat im Laufe der Beratungen die „Schuld“ auf sich genommen, einen Weg einzuschlagen, der gegen die Werte und Prinzipien ihrer Familie verstößt. Heute, 6 Jahre später, lebt sie als freie Autorin und Redakteurin vom Schreiben. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit den Prinzipien von Pluto und Venus inspirierten sie dazu, Kurzgeschichten zu veröffentlichen, die um die Verstrickungen und komplizierten Bindungen von Liebespaaren kreisen.
Theorie-Konzepte in der Kunst und in der Astrologie
Isabell hat mir damals die Augen darüber geöffnet, wie selbstverständlich sich Theorie-Konzepte der Kunst und astrologische Gesetzmäßigkeiten ineinander spiegeln können. Was ich bis dahin, als gleichberechtigt nebeneinander stehend, gelebt hatte – geisteswissenschaftliches Studium und die Tätigkeit des Astrologen – hat diese Klientin intuitiv zu einer Einheit geführt, die weit über formale Entsprechungen hinausweist. Einerseits habe ich seit dem begriffen, weshalb gerade Kreative und Künstler besonders rasch in astrologische Beratungen hinein gehen können, ohne Verständnis-Fragen zu stellen. Gleichzeitig wurde mir aber erstmals bewusst, inwieweit die Astrologie in der Lage ist, Künstler und Kreative auch inhaltlich in ihren kreativen Prozessen zu begleiten und zu inspirieren. Ganz zu schweigen von der möglichen Hilfestellung bei kognitiven und emotionellen, kreativen Blockaden!
Wenn C. G. Jung die Planeten als „Svmbole der Mächte des Unbewussten“ (Briefe II, S. 400) bezeichnet, so versinnbildlichen sie doch immer auch die Welt im Außen. Die Astrologie ist ein System, das innere und äüßere Welt abbildet. Kraft der Assoziation bildet jedes Symbol eine nahezu unendliche Analogie-Kette, kreisend um den Wesenskern der im Symbol beschriebenen Energie.
Mit dem Horoskop als Abbild zu entwickelnder Anlagen und den Transiten als Auslösern bestimmter Erfahrungen eines Menschen, entsteht vor dem Astrologen eine Skizze, die das jeweilige Individuum (der Horoskopeigner) in Freiheit selbst gestaltet.
Der Künstler kreiert eine eigene Welt, die durch seine innere Veranlagung und von seinen Erfahrungen innerer und äußerer Zustände genährt wird. Das Kunstwerk gibt Eigendynamik hinzu, die der Künstler häufig als außerhalb seiner selbst liegend, erfährt. Kunst ist eine Brücke, sie überwindet Sprache, Raum und Zeit. Sie verbindet die Menschheit durch Kultur, dokumentiert Geschichte, Religion und andere Wissenschaften und findet dabei unterschiedliche Ausdrucksformen.
Kunst berührt durch Farben, Töne, Formen, Sprache und Nachahmung. Welchen Astrologen würde es tatsächlich in Erstaunen setzen, wenn er von einem Schauspieler, der sich auf eine Rolle als Bösewicht vorbereitet, gefragt würde:
„Wo ist er denn nun, der Mörder in mir?“
Wenn nicht der Astrologe, wer dann könnte darauf einen sinnvollen Hinweis geben?
Und welcher Astrologe würde sich wundern, wenn ein Künstler unter einem Uranus-Transit beginnt, die fertig bemalten Leinwände zu zerschneiden und neu zusammen zu setzen?
Natürlich Keiner. Doch das Gespräch über uranisch wirkende Einflüsse, könnte konzeptionell genutzt werden, um rasch zu wirklich konstruktiver Destruktion zu führen.
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Die Planeten: Nichts weiter als Energien, die Ausdruck finden wollen
Sozusagen als kleine Appetitanreger seien im Folgenden einige Stichworte aus dem großen Pool der Künste zu den „unpersönlichen“ Planeten hinzugefügt. Diese wirken im Radix und natürlich als Transit Schicksalgebendes und Mächtiges, färben mit ihrer Intensität Entwicklungsphasen und damit die Kreationen der Kunst-Schaffenden. Um den Rahmen nicht zu sprengen, bitte ich diese Reduktion zu verzeihen:
Jupiter
Die ganz große Bühne, der „Griff nach den Sternen“, Expansion, Pop-Musik, Populär-Literatur, Bestseller, aktuell: die „Willkommenskultur“ der Theater, Glamour, Film: StarWars, Star-Kult, Mode-Fotografie etca.
Saturn
Reduktion und Konzentration, thematische Beschäftigung mit Endlichkeit, Anselm Kiefer-Ästhetik, Grautöne, asketische Form, Realismus in der Kunst, Reportage-Fotografie, „Back to the Roots“ etca.
Uranus
Das Revolutionäre, das Experiment, konstruktive Dekonstruktion, Expressionismus, G. Benn schrieb unter „Uranus“ den Gedichtband „Morgue“, der zu seinem Durchbruch führte, aber auch als Skandalon bewertet wurde, das Exzentrische, die Freiheit der Kunst, Elektromusik etca.
Neptun
Impressionismus, die „blaue Blume der Romantik“, Sehnsucht, Transzendenz, die Farbe Blau, schwelgende Symphonien, Liebesdramen, Romeo und Julia, Nostalgie, Melancholie, das „Epische“ Kino, die Saga, Fantasy etca.
Pluto
Punk, Psychothriller, Gewaltthemen in der Kunst, die „Patterns“ in der Kunst, Arbeiten mit „verrottenden“ Materialien, Phönix aus der Asche, das Böse, Dostojewskische Themen, John Irvings „Garp“, Kino: z.B. Quentin Tarrantino etca.
Astrologie als Begleitung für kreative Prozesse
Astrologen können Kunst-Schaffende bei ihrer kreativen Auseinandersetzung mit innerer und äußerer Welt begleiten, beflügeln und vorbereiten. Die Astrologie unterstützt beim authentischen „Werde, was da werden soll“.
Es zeigt sich in der Praxis immer wieder, dass der Künstler über eine wirkende „Zeitenwende“ nicht wirklich überrascht ist. Eine Musical-Aktrice, die unter Jupiter-Transiten die halbe Welt bereist hatte, fühlte sich durch die Ankündigung von, in ihr Leben drängenden, Saturn-Analogien nahezu befreit. „Endlich Back to the Roots“ lautete ihr Kommentar. Und sie berichtete von ihrem heranreifenden Wunsch, mit einem befreundeten Pianisten ein Solo-Programm zu entwerfen, das in kleineren Clubs spielbar sei.
Und was tat Gottfried Benn unter seinem anfangs erwähnten Neptun-Transit im 10. Haus? Trotz seelischer Erschöpfung schrieb er natürlich den Text zu Hindemiths Oratorium „Das Unaufhörliche“. Die erste „Nihilisten-Oper“ der Welt ist so entstanden, die dennoch die ganze Sehnsucht und Entgrenztheit der Planeten-Energie in sich trägt. Und ganz nebenbei wurde der Dichter durch das Honorar auch von seinem Schuldenberg halbwegs erlöst!