Astrologie in den Anfangsjahren der Republik, Teil 2
von Dr. Christoph Schubert-Weller
(Auszüge aus seinem Referat auf dem Kongress „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, Würzburg, 6. – 8. Oktober 2017, 2. Teil)
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Gegen Ende der Sechziger Jahre schrieb der damalige DAV-Vorsitzende Dr. Julius Anweiler in einem DAV-Rundschreiben ungewohnt offen: „Der Tod hat uns inzwischen viele Mitglieder entrissen und er wird unter der alten Astrologengeneration in den nächsten Jahren weiterhin aufräumen. Deshalb geht an alle Mitglieder die eindringliche und herzliche Bitte, für den Verband zu werben.
Wenn wir in Zeitungen und Zeitschriften inserieren, etwa in der „NEUEN WELTSCHAU“, der „Anderen Welt“ u. dgl., so ist es schon möglich, dass wir das eine oder andere Mitglied gewinnen, aber – im ganzen gesehen, dies wurde auch auf der Versammlung ausdrücklich beraten – bekommen wir dann doch nicht diejenigen Persönlichkeiten, die wir für unseren Nachwuchs und namentlich auch für die Ausübung der Funktionen des Verbandes brauchen. Daher müssen wir diese Werbung in verstärktem Maße betreiben. Der Vorstand kann dieses vordringliche aller aktuellen Probleme ohne Mithilfe der Mitglieder nicht lösen.“1
In all den Jahren seit 1947 war die Mitgliederzahl des DAV relativ konstant bei 100 Leuten geblieben. Die Zahl der Geprüften nahm langsam ab, die Zahl der „Gastmitglieder“ entsprechend zu. Es war offenkundig nicht besonders attraktiv, Astrologe zu sein. Und der DAV vermochte es nicht, diesen Mangel an Attraktivität zu heben. „Was tut eigentlich der DAV?“ wurde vielfach gefragt. Die mehr als zwei Jahrzehnte des Kampfs um wissenschaftliche und gesellschaftliche Anerkennung hatten wenig gefruchtet. Die DAV-Prüfung, obschon anspruchsvoll, blieb eine rein privatrechtliche Angelegenheit, deren öffentlicher Wert auf dem Niveau des Jodeldiploms verharrte.
Dr. Christoph Schubert-Weller während seines Vortrages, Würzburg im Oktober 2017
Umbruch…
Als ich im August 1984 dem Verband beitrat, knapp 37 Jahre nach seiner Gründung, hatte der Verband etwa 150 Mitglieder, davon vielleicht ein Drittel Geprüfte. Woher kamen diese Leute, die sich der Astrologie verschrieben hatten? Es gab etwa ein Drittel aus den Humanwissenschaften – Medizin, Psychologie und Pädagogik, ein weiteres Drittel kam aus mathematisch-technischen und naturwissenschaftlichen Berufen, und das letzte Drittel war künstlerisch tätig, vor allem in Musik und in Bildender Kunst.
Zu den Künstlern darf Wolfgang Döbereiner gerechnet werden. Ja, Wolfgang Döbereiner war mal DAV-Mitglied! Zum Zeitpunkt seiner Aufnahme war er 28 Jahre alt, war Kapellmeister von Beruf, studierte nebenher Jura … und hatte bereits sein geniales System rhythmischer Auslösungen entdeckt. „Haben Sie die Absicht, die Verbandsprüfung abzulegen?“ so wurde jeder Aspirant vor Aufnahme in den DAV gefragt. Döbereiner antwortet hier in einer Mischung aus Selbstbewusstheit und Überforderung: „Zur Zeit wirtschaftlich und körperlich überbelastet; wenn sich die Prüfung nicht durch meine Arbeiten erübrigt …, dann ja.“ – Döbereiner hatte schon 1949 erste astrologische Beratungen durchgeführt und 1953 einen wichtigen Teil seiner Forschungen gemacht und publiziert.
Ein Forscher war Walter Böer, den seit den Dreißiger Jahren das Thema der Astrologie umtrieb. Böer trat am 14. Juli 1964 dem DAV bei. Seine große Zeit war einmal die Mitarbeit an den Bender’schen Tests in den Fünfziger Jahren. Und bis Ende der 80er war er Mitglied der Prüfungskommission.
Der erste Saturn-Return beim Deutschen Astrologen-Verband geschieht in einer einzigen Passage am 14. August 1977. Ab Herbst 1977 leitet Hans Matthaei den Verband und setzt zahlreiche neue Impulse. Es ist das Jahr, in dem, soweit aus den DAV-Unterlagen hervorgeht, erstmals der spätere DAV-Vorsitzende Peter Niehenke als Mitglied des DAV-Vorstandes, nämlich als Schriftführer, erwähnt wird. Es ist zugleich das Jahr, in dem die spätere DAV-Vorsitzende Ulrike Voltmer dem DAV beitritt. Ulrike Voltmer war übrigens meine zweite Prüferin.
…und Aufbruch
Mit Peter Niehenke beginnt einerseits eine äußerst fruchtbare, aufbruchsorientierte Zeit für den Verband, die nicht genug gewürdigt werden kann. Andererseits sind da in den späteren Jahren die „nackten Tatsachen“ um Peter Niehenke, der an seinem Wohnort regelmäßig den „Nacktläufer von Freiburg“ gibt, dem der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemacht wird.2 Niehenke bestreitet den Vorwurf, spricht aber auch von seiner „Libertinage im Umgang mit Kindern, was das Thema Körperlichkeit und Nacktheit“ angeht.3 Der Duden übersetzt das Wort „Libertinage“ mit „moralische Freizügigkeit, Zügellosigkeit.“4 Was soll man davon halten? Eine Klärung ist kaum möglich. Hier bleibt seitens des DAV nur klare Abgrenzung.
Fragten sich die Mitglieder Ende der 60er Jahre noch, was der DAV eigentlich tue, gab es Anfang der Achtziger genug für den DAV zu tun: Niehenke machte nicht nur einmal mehr die Astrologie als strittiges Thema öffentlich. Niehenke versuchte zugleich, den „wissenschaftlichen“ Anspruch der Astrologie, wie er seit eh und je in der Satzung des DAV vertreten wurde, zu hinterfragen, aber ebenso den Anspruch der Kritiker, es könne sich nur um Aberglauben handeln. Niehenke argumentierte folgendermaßen: Der „wissenschaftliche“ Anspruch des DAV war bis dahin naiv, taugte bestenfalls als Abgrenzung gegenüber der bloßen Sonnenstandsastrologie. Peter Niehenke trat für strikte Nachprüfbarkeit ein. Der DAV vertrat nun eine Astrologie, an die man nicht „glauben“ musste, vertrat zumindest im Prinzip eine Astrologie, die in ihren Behauptungen nachprüfbar ist. Das hieß: Es gibt einen rationalen Zugang zur Astrologie, es gibt eine „Astrologie ohne Aberglauben“. Und letztlich war für Peter Niehenke nur der rationale Zugang überhaupt ein triftiger Zugang.
Als ich 1984 mitten in der Ära Niehenke dem DAV beitrat, habe ich geglaubt, es könne einen „wissenschaftlichen Beweis“ geben. Mittlerweile neige ich zu der Auffassung, dass wir vor einem Geheimnis stehen, und solange wir dieses Geheimnis nicht als solches (an)erkennen, kann es sich uns auch nicht erschließen. Ob es zu den Welträtseln gehört, denen das Etikett des „Ignoramus et ignorabimus“ anhaftet; („Wir wissen es nicht und wir werden es niemals wissen“), weiß ich freilich nicht. Es könnte sein, dass wir, Wissenschaft und Rationalismus hin oder her, in Bezug auf die Astrologie noch immer gefangen in Platons gleichnishafter Höhle sitzen. Die vielen Modelle der Astrologie, die wir heute anwenden, rationale und nicht rationale, statistische und hermeneutische und schließlich esoterische, sind vorerst wie die unterschiedlichen Flammen- und Schattenbilder, die uns zur trüben Abbildung strahlender Wirklichkeit an der Wand unserer Höhle dienen.
Dr. Christoph Schubert-Weller
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1) DAV-Rundschreiben Dezember 1968.
2) Interview mit Peter Niehenke, MERIDIAN, hier zitiert nach http://astrologiezentrum.de/aktuelles/printmedien/MERIDIAN-interview.PDF – Zugriff am 1. Oktober 2017.
3) Ebda.
4) Vgl. http://www.duden.de/rechtschreibung/Libertinage – Zugriff am 1. Oktober 2017.