Die Zukunft der Sterndeutung. Steht die Astrologie vor einem Paradigmenwechsel?
von Christoph Schubert-Weller
So lange es die Astrologie gibt, stellen sich grundlegende Fragen. Ist sie deterministisch, weil sie ein unabänderliches Schicksal prophezeit? So war es schwerpunktmäßig über Jahrhunderte, was der Astrologie immer wieder vorgeworfen wurde. Allerdings war sie darin auch Kind ihrer Zeit.
Für frühere Kulturen war der Glaube an die Vorherbestimmung durch Gottes Wille eine Selbstverständlichkeit. Heute herrscht die psychologische Astrologie vor, die den freien Willen betont und daran interessiert ist, den Mensch in seiner Entfaltung zu stärken und zu fördern.
Der bekannte Astrologe und langjährige DAV-Vorsitzende Christoph Schubert Weller sieht in diesem Grundsatz – oder auch Paradigma – den großen Erfolg der Astrologie. Dabei möchte er jedoch nicht stehen bleiben, sondern er wartet gleich zu Beginn mit einer provokanten These auf: „Zukunft ist sowohl das tägliche Arbeitsfeld, als auch ein Gesamtsinn aller Astrologie. Und darum ist es recht seltsam dass so gut wie niemand nach der Zukunft der Astrologie fragt“.
Schubert-Weller schränkt zwar ein: „Die Astrologie der Gegenwart ist nicht schon an der Stelle, dass sich ihr (weitgehend) geltendes psychologisches Paradigma sichtbar in Auflösung befände. Aber es gibt meiner Einschätzung nach eine Reihe von Indizien dafür, dass die Astrologie von ihrer Substanz lebt und diese demnächst aufgezehrt hat“.
Er stellt sich damit der Frage, ob es einen Paradigmenwechsel in der Astrologie geben könnte und er will einen Beitrag zur eigenen Theoriebildung leisten. Dabei taucht er tief in die Geschichte ein und stellt dar, wie es immer wieder neue Blicke, neue Perspektiven, oder eben Paradigmenwechsel der Astrologie gegeben hat, wie Orakel und Wahrsagung aufgeklärteren Zugängen gewichen sind, die die persönliche Freiheit betont haben. Er führt aus, wie neue Deutungsansätze oder Häusersysteme integriert wurden und die Aussagekraft astrologischer Ausführungen deutlich erweitert haben. Dabei stellt sich der Autor auch den Herausforderungen der Gegenwart, bis hin zum Umgang der Astrologie mit künstlicher Intelligenz.
Die Ausführungen zeigen ein umfassendes, tiefes Wissen des Autors zu den unterschiedlichen astrologischen, aber auch kulturhistorischen und philosophischen Entwicklungen.
Was den Paradigmenwechsel tatsächlich angeht, so will er mehr diskutieren und anregen, als klare Botschaften versenden. Immerhin behauptet Schubert Weller: „Die entscheidenden Blickumstellungen wird es in der Mundanastrologie geben. Deren Aufschwung ist mit dem Aufschwung des Wassermann-Äons zu erwarten. Noch stehen wir an dessen Beginn und erleben dessen Kinderkrankheiten nämlich die ungehemmte und zugleich verlogene Betonung von sogenannter Freiheit von Individualismus… Im Wassermannzeitalter dürfte es um das richtige, das lebensvolle, empathische und solidarische Verhältnis von Individualität und Kollektiv gehen… Zu erwarten ist, dass die Mundanastrologie als eine Astrologie des Kollektivs aufgebaut wird…“
Zugegeben, wenn es um das Wassermannzeitalter geht, kann der Rezensent nicht folgen. Gehen wir davon aus, dass der Frühlingspunkt durch die Präzession der Erdachse heute bei 5 Grad Fische liegt (Ayanamsa), ist das Fische-Zeichen weitgehend durchschritten. Bei den kosmischen Dimensionen des großen platonischen Weltenjahres entsprechen die letzten fünf Grad des Fische-Zeitalters allerdings noch 350 Jahren, eine Spanne die niemand von uns auch nur ansatzweise in diesem Leben überblicken kann; ganz abgesehen von einer allgemeinen Überschätzung der Werte des Wassermannzeitalters, die an dieser Stelle allerdings nicht diskutiert werden soll. (Siehe die Diskussion in Meridian 6/20).
Trotz dieser Einschränkung ist das vorliegende Werk ein großartiger Beitrag zur Theorie-Diskussion innerhalb der Astrologie, der aufgegriffen und fortgesetzt werden sollte.
Christoph Schubert-Weller: Die Zukunft der Sterndeutung. Steht die Astrologie vor einem Paradigmenwechsel? Chiron-Verlag, Tübingen 2022, 203 Seiten, 22,- €.
Klemens Ludwig