Der leere Halbkreis im Horoskop
von Ursula Sammann
Ein leerer Halbkreis im Horoskop ist eine absolute Besonderheit. Ich empfinde es stets als Herausforderung seinem Thema gerecht zu werden. In diesem Artikel möchte ich meine bisherigen Einblicke in diese seltene und höchst interessante Konstellation mit Ihnen teilen. Obwohl ich mich kurz gefasst habe, hoffe ich eine Ahnung davon zu vermitteln wie umfassend die Thematik ist.
Dreißig Speichen gehören zu einer Nabe, doch erst durch das Nichts in der Mitte kann man sie verwenden;
Man formt Ton zu einem Gefäß, doch erst durch das Nichts im Innern kann man es benutzen;
Man macht Fenster und Türen für das Haus, doch erst durch ihr Nichts in den Öffnungen erhält das Haus seinen Sinn.
Somit entsteht der Gewinn durch das, was ist, erst durch das, was nicht ist.
Lao-tse: Tao-te-king
„Die Komponenten des Achsenkreuzes zeigen, welche „grundsätzliche Ausrichtung dem Horoskop Eigner“, Tierney, Bill (1), das Gefühl der inneren Sicherheit und Stabilität gibt, auf welchem Fundament er die Entfaltung seiner Persönlichkeit aufbaut und in welchen Bereichen seine Lebenskräfte zum Ausdruck kommen.“ *(a)
Mein Lernprozess war unausweichlich. Regelmäßig hatte ich Horoskope mit leeren Halbkreisen in der Hand. Nur die linke Hälfte habe ich bis heute nicht leer gesehen. Eine Kollegin meinte, sie hätte leere Halbkreise noch nie gehabt. Doch ich hatte in meinen Beratungen und in meinem Freundeskreis kontinuierlich damit zu tun.
So erhielt ich wertvolle und kostbare Einblicke in die psychologischen und karmischen Aspekte dieser Horoskope, sowie in die verschiedenen Bewältigungsstrategien und die mit diesem Potential einhergehenden Leiden. Die Intensität dieser Persönlichkeiten, ihre Glücksmomente und Erfolge, sowie ihre Irrungen und Wirrungen berühren mich bis heute.
Als leer definiere ich einen Halbkreis, wenn sich weder ein Planet, noch der nördliche Mondknoten oder Chiron darin aufhalten. Das ist auch dann noch der Fall, wenn sich eine der o.g. Komponenten unterhalb einer der beiden Achsenpole in Konjunktion zu diesem und in dem gleichen Zeichen befindet (Orbis ca. 10 Grad). Da dieser Ausreißer nicht weit gekommen ist, kann er der vollen Hälfte nichts entgegensetzen. Dies ist gut an den Aspekt Linien zu erkennen, die, mit Ausnahme des eventuellen Aspektes zum IC, ausschließlich in die belebte Hemisphäre verlaufen.
Ist ein Planet in dem ansonsten leeren Halbkreis jedoch anderweitig platziert, ist er nicht mehr als leer anzusehen. In Paulas** Horoskop ist der rechte Halbkreis bis auf Saturn leer. Dieser befindet sich genau in der Mitte dieser Hemisphäre. Seine Aspekte zeigen deutlich, dass eine rege Korrespondenz mit den gegenüberliegenden Komponenten stattfindet. Von daher ist diese Position eher mächtig und sehr aussagekräftig.
Anfangs habe ich mich gewundert, dass ein leerer Halbkreis überhaupt möglich ist. Außerdem konnte ich mir nicht vorstellen, wie der gegenüberliegende volle Halbkreis gelebt wird. Die Frage nach der möglichen energetischen Dynamik in dem beengten Raum bereitete mir zu Beginn meiner astrologischen Tätigkeit viel Kopfzerbrechen. Es dauerte Jahre bis ich das Gefühl hatte die Komplexität der besonderen Energie dieser Horoskope zu erfassen.
Mein erster Schritt bestand darin, mich von der Konzentration auf den belebten Halbkreis zu lösen. Ich begann den leeren Halbkreis als gleichwertigen Teil des Ganzen zu sehen. Daraus ergab sich, dass der energetische Austausch innerhalb des Kreises nicht davon abhängt, ob der Raum voll oder leer ist. Es geht vielmehr darum auf welche Art und Weise dieser erfolgt. Die leere und die volle Hälfte sind ein Gegensatzpaar. (2) Wie kommunizieren derart verschiedene Persönlichkeitsanteile, die wie zwei Seiten einer Medaille untrennbar miteinander verbunden sind? Was genau ist die Gemeinsamkeit die ihren gegenpolaren Themen zugrunde liegt?
„Die Energie belebter Räume ist immer vitaler, als die unbelebter Räume. Doch je mehr Raum die Leere einnimmt, desto stärker wird ihre Ausstrahlung. Eine visuelle Erfassung ist demnach nur vollständig, wenn die Wirkung leerer oder schwach betonter Bereiche, bewusst in den Gesamteindruck integriert wird. Entsprechend orientiert sich die komplexe Deutung der Halbkreise grundsätzlich an ihrer wechselseitigen Abhängigkeit. Dies ermöglicht nicht nur ein tieferes Verständnis der zentralen Themen, sondern auch der inneren Dynamik der Persönlichkeit.“ * (b)
Die horizontale und die vertikale Achse unterteilen den Kreis in jeweils zwei Halbkreise. Der Bereich rechts der vertikalen Achse ist der Kommunikation mit dem Du- und der Linke der Konzentration auf das Ich zugeordnet. Die Hälfte oberhalb der horizontalen Linie entspricht den extrovertierten, öffentlichen und die Untere den introvertierten, privaten Persönlichkeitsanteilen.
Diese vier Halbkreisthemen entsprechen den Grundtendenzen unserer Erfahrungswelten. Die innere, mikrokosmische Ordnung des Horoskops wird von ihrem Zusammenspiel geprägt. Weitere Elemente dieser inneren Struktur sind die vier Quadranten des Achsenkreuzes und die vier, im Makrokosmos verankerten, Achsenpole. Eine stabile Balance ist also unweigerlich mit der Vier verbunden. Es sind die vier Himmelsrichtungen, die vier Jahreszeiten und die vier Elemente die unsere Welt ausmachen. Im Tarot ist es die vier der Scheiben, die das Gleichgewicht der Kräfte darstellt.
Ein Stuhl hat normalerweise vier Beine. Nun stellen wir uns einmal einen Stuhl vor, der nur zwei, nebeneinander angebrachte, Beine hat. „Die Arbeit einen zweibeinigen Stuhl in der Balance zu halten, verhindert, dass man sich entspannt darauf setzen kann. Die Seite, an der die Beine sind, ist die stabilisierende. Eventuell kann man sich ab und zu der Anderen zuwenden, ohne umzukippen. Dabei wird man Bewegungen entwickeln, die anderen fremd sind.“ * (c)
Es bedarf einiger Konzentration und ungewöhnlicher Haltungen, um die Balance zu finden und zu halten. Das verursacht inneren Stress, dem es standzuhalten gilt. Da es genau diese Anspannung ist, die die Persönlichkeit stabilisiert, ist jeder Versuch die Struktur dieses sensiblen Gefüges zu durchbrechen, zum Scheitern verurteilt. Der zentrale Schlüssel für den angemessenen Umgang mit den Extremen der vollen und der leeren Hälfte ist Akzeptanz und liebevolle Annahme.
„Aus spiritueller Sicht wissen wir, dass die Seele mit dieser Auffälligkeit etwas ausdrückt. Wir sollten stets darauf vertrauen, dass sie ihren Plan genau kennt. Spannend ist, dass die Ausstrahlung ihrer vollen Hälfte eine enorme Intensität und Kraft hat. Deren besondere Qualität ist ebenfalls ein Ausdruck der Seele. Die Erfahrungen, die aufgrund dieser Konstellation möglich sind, sind als ein wichtiger Entwicklungsschritt zu verstehen.“ *(d)
Fragen wir nach den möglichen Ursachen für einen leeren Halbkreis, gibt es mehrere Ansatzpunkte. Zum einen fällt auf, dass mit dieser Konstellation in der Regel eine Ursprungsfamilie einhergeht, deren Umgang mit unerlösten Traumata von konsequenter Ignoranz geprägt ist. Die für das ganze System folgenschweren und erschütternden Ereignisse wurden nie als solche anerkannt, wahrgenommen und gewürdigt. Dies hatte sicher oft zeitgemäße und existenzielle Gründe. Doch die, teils überlebensnotwendige und in schwierigen Situationen einzig verfügbare, Bewältigungsstrategie der Ignoranz ist von fataler Wirkung. Sie ist im gesamten Familiensystem zu spüren und verursacht Desorientierung, sowie Kompensationen zwanghafter Art. Die damit einhergehende Starre und innere Verhärtung blockiert den Einfluss gesunder und positiver Lebenskraft. Stattdessen strahlt ein derartiges Familiensystem eine gewisse Bedrohlichkeit, Rigidität und Kälte aus. Da keine lebensbejahenden Botschaften transportiert werden, kollabiert es und stirbt aus. Es werden keine Kinder, vor allem keine männlichen Nachkommen mehr gezeugt. Entsprechend ist Kinderlosigkeit bei diesen Horoskop Eignern häufig der Fall. Das Hauptthema der familiären Traumata und das der leeren Hälfte im vorliegenden Horoskop korrespondieren miteinander. Diesen Bereich gar nicht mehr zu betreten, ihn nicht mit Leben zu füllen, ist die Konsequenz aus den unbewusst transportierten Botschaften der Ahnenreihe.
Ebenfalls auffällig ist, dass die Zeugung der Betroffenen und ihre Geburt, inklusive des Geburtsjahres, meist unerwünschte bzw. unerwartete Auswirkungen auf die Familie hatten. Hier finden wir den Nachzügler, das Kind dessentwegen die Eltern früher geheiratet haben und das unerwünschte Kind u.a. Richard*, dessen rechte Horoskop Hälfte leer ist, wurde 1945 in Berlin geboren. Sein Vater kehrte nicht aus dem Krieg zurück und gilt als verschollen. Seine Mutter war über ihre Schwangerschaft genauso wenig erfreut, wie über die Tatsache alleinerziehend zu sein. Ist die Person ein Wunschkind, dann gab es vor der Geburt in der Ursprungsfamilie Grenzerfahrungen bezüglich Empfängnis, Schwangerschaft und Geburt, wie z.B. eine Totgeburt oder ein verlorenes Kind. Diese Seelen, die derart spezielle Horoskope haben, sind prädestiniert für besondere und schwierige Grenzsituationen.
Ein weiterer Aspekt ist, dass die Wiedergeburt in ein bestimmtes Familiensystem aufgrund der Resonanz die das persönliche Karma zu dessen grundsätzlichen Themen hat, erfolgt. Die individuelle Lebensaufgabe korrespondiert mit seinen Schwingungen. Dies stellt eine Verbindung zu der Energie des jeweiligen Familiensystems her. Eine der Aussagen, die mir im Zusammenhang mit der karmischen Ursache dieser Auffälligkeit einfällt, ist, dass mir ein Klient bei der Besprechung seines Horoskops ständig, wie ein Mantra, versicherte: „Ich wollte ja gar nicht hierhin. Das Ganze kommt mir wie ein riesiger Irrtum vor“. Natürlich habe ich ihm geglaubt, dass er nicht wiedergeboren werden wollte. Fragt sich nur, wer sich geirrt hat und warum?“ *(e)
„Der leere Halbkreis entspricht einem unentdeckten Land. Das unbekannte Terrain ist beängstigend. Für den Kontakt zu seinem Thema, steht keine planetare Energie zur Verfügung. Folglich herrscht nicht nur ein Defizit bezüglich der inneren Orientierung, sondern auch bezüglich des Zugangs zu diesem Bereich. Die unbewusste Suche der Persönlichkeit nach einem stabilen Gleichgewicht führt dazu, dass die Leere kompensiert wird. Eine normale Reaktion sind Vermeidungsstrategien und mangelnde Flexibilität…Die Auseinandersetzung mit dem unausgefüllten, leeren Bereich ist spätestens ab der Lebensmitte unvermeidbar. Die veränderte Lebensenergie bewirkt, dass Defizite problematischer, sowie Stärken offensichtlicher werden.“ *(f)
Ein besonderes Augenmerk sollte bei dieser Konstellation den Lebensphasen und dem, was ihnen altersgemäß entspricht, gelten. Dies spielt eine besondere Rolle. Denn es gibt Phasen, in denen die gegebene Einseitigkeit nicht auffällig ist und andere in denen sie in den Vordergrund rückt. So ist eine leere obere Hälfte in der Kindheit und der Pubertät kein offensichtliches Hindernis. Doch sobald es darum geht sich von zuhause zu lösen und sich der Öffentlichkeit und ihren Anforderungen zu präsentieren, werden die besonderen Wege, oder Sonderwege, die es hier sicher zu gehen gilt, sichtbar. Die Beziehungs- und Kommunikationsthematik der rechten, leeren Hälfte erzeugt in dem Alter, in dem die biologische Uhr tickt und in der Regel geheiratet wird, aufgrund der inneren Beschränkungen, einen großen Druck. Ich habe mehrmals mit angesehen, wie zwar voller Sehnsucht zu dieser Seite herübergeschaut wurde, aber keine entsprechende Handlungsfähigkeit, geschweige denn Selbstbewusstsein vorhanden war. Eine entscheidende Schwelle ist die Zeit der Lebensmitte. Bis dahin haben sich die Bewältigungsstrategien hinsichtlich des Lebens mit dem halben Kreis herauskristallisiert. Sie fordert auf hinzuschauen, in welche Richtung die weitere Reise gehen soll.
Radix Sharon
Bei Sharon*, heute 79 Jahre alt, ist die untere Hälfte leer. Bis zu ihrem 40sten Lebensjahr gab es keine gravierenden Engstellen, wenngleich auch keinen üblichen Werdegang. Sie war ein Hippie der Beat Generation und lebte in London, als es dort drunter und drüber ging. Es war „in“ sich mit Astrologie zu beschäftigen. Sie kennt ihr Horoskop. Spaßeshalber sagte sie zu mir, ich brauche diese untere Hälfte nicht. Doch als es darum ging altersgemäß zu leben, ruhiger zu werden, war sie nicht in der Lage dazu. Sie kam nicht runter, nicht zu sich selbst. Wichtige Reifeprozesse fanden nicht statt. Sie ist nicht fähig sich abzugrenzen und vermeidet es alleine zu sein. Was bleibt sind zwanghafte Verhaltensweisen der Überaktivität und kindische Bedürfnisse nach Aufmerksamkeit. Da, wo ihr physisch die Kräfte ausgehen, verlagert sich die Energie in ihren Kopf, und verursacht heftige Migräneanfälle, sowie schlaflose Nächte. Und obwohl sie einen spirituellen Weg geht, Meditation praktiziert, ist sie der geballten, Luft betonten, Energie ihrer vollen oberen Hälfte hilflos ausgeliefert.
Die Deutung des Aufenthaltsortes der jeweiligen Herrscher der leeren Häuser, sowie die Erfassung der Themen der leeren Häuser und Quadranten ist eine mögliche Herangehensweise an die leere Hälfte. Die Qualität der jeweiligen Grenzachse kann ebenso aufschlussreich sein.
Da ich stets auf der Suche nach einer Botschaft der Seele bin, schaue ich bei der Betrachtung der vollen Hälfte stets nach der Position von Chiron. Er gibt Auskunft darüber welches die tiefe seelische Verletzung ist. Er trägt gleichzeitig die Botschaft wie Heilung aussehen könnte in sich. Er ist der Schamane im Horoskop. (3) Bei Sharon ist er im 10. Haus. In der Zeit als sie geboren wurde, 1942, war Emanzipation kein Thema. Und obwohl sie Bedienstete hatten, hatte die Mutter aus gesellschaftlichen Gründen keine Chance eigene berufliche Ziele zu verfolgen, geschweige denn Talente zu entfalten. Das ist gut an der Mond-Pluto Konjunktion im 10. Haus zu erkennen. Infolgedessen wurde die Botschaft transportiert, dass Frauen kein Recht auf Selbstentfaltung haben. Meine weitergehende Betrachtung würde den Aspekten zu Chiron, dem Herrscher des 10. Hauses und der Frage, ob das über mehrere Generationen der Fall ist, siehe Saturn und Pluto, gelten.
Die Persönlichkeitsstruktur erlaubt nur Höhen und Tiefen. Ein Mittelmaß ist aufgrund der geballten Energie nicht möglich. Besondere Talente spielen eine herausragende und tragende Rolle und verleihen der teils offensichtlichen Exzentrik eine sehr sympathische und attraktive Note. Damit gehen die Extreme von Genie und Wahnsinn einher. Die kontinuierliche, geerdete Bewältigung des Alltags fällt oft schwer. Die Wahrnehmung der Realität ist generell begrenzt und auf die eigenen Interessen fixiert. Ihr Ding durchzuziehen ist das, was sie können.
Hier begegnet uns eine der typischen Eigenarten dieser Konstellation. Sobald ein Inhalt gefunden wird, der der schwierigen Balance Halt gibt, wird dieser mit konzentrierter Ausschließlichkeit gelebt. Für andere Themen bleibt kein Raum mehr. Auch, wenn der Wandel der Zeit notwendige Veränderungen im Umgang mit diesem Lebensinhalt erfordert, werden diese solange wie möglich ignoriert.
Sharons Horoskop ist so nach oben ausgerichtet, dass es fast wirkt als wolle sie der Welt entfliehen. Das blaue Dreieck, das die involvierten Planeten Neptun, Mond, sowie das Dreiergespann von Sonne, Saturn, Uranus bilden, zeigt die Intensität ihrer spirituellen Suche. Und so ist es nicht verwunderlich, dass es ab dem Moment, in dem sie ihren buddhistischen Lehrer traf, nichts anderes mehr gab. Und obwohl dieser Weg in den 70er Jahren noch als unkonventionell galt, interessierte sie sich fortan nur noch dafür. Hielt sich der Lama in dem Zentrum auf in dessen Nähe sie lebte, übernahm sie viel zu viele Aufgaben. Nach seiner Abreise war sie immer völlig ausgelaugt. Das ging jahrelang so, bis sie einfach nicht mehr konnte (ist ja nicht so, dass man nicht mit Engelszungen auf sie eingeredet hat). Die Balance zwischen Eigenverantwortung und gleichzeitiger Hingabe war ihr einfach nicht möglich.
Bei Richard verhält es sich ebenso. Er ist ein talentierter Pianist, Organist und Klavierlehrer. Das hat ihn in den Zeiten, in denen er dachte wahnsinnig zu werden, über Wasser gehalten. Denn er ist doppelter Löwe und hat die Sonne mit Pluto in Konjunktion im 12. Haus. Wäre die Musikalität nicht gewesen, hätte er verzweifelt. Doch im Alter von 76 Jahren dreht sich bei ihm immer noch alles um die Arbeit. Alles andere wird ignoriert.
Diese besonderen und oft charismatischen Menschen können sich eine Zeit lang entschlossen und energisch in dem Themenbereich aufhalten, der in ihrem Horoskop leer ist. Sie agieren wie Schauspieler hinter einer Maske verborgen. Ihr Auftritt ist kraftvoll und vehement. Doch sie bleiben nicht lange, da dies ihr verletzlichster Persönlichkeitsanteil ist. Die Achse zwischen den Hälften ist eine Grenze, die es nicht verträgt zu weit oder zu lange geöffnet zu sein. Sie erleben einen permanenten Wechsel von Macht und Ohnmacht. Denn starke, kontinuierliche Impulse oder Anforderungen aus der leeren Hälfte wirken überfordernd. Es kommt leicht zu einer Reizüberflutung. Entsprechend stark ist das Bedürfnis nach Rückzug und Ruhe. Ein geschütztes Refugium ist hier absolut existenziell.
Ein großes Hindernis ist, dass sie lange Phasen haben in denen sie absolut unbelehrbar und unerreichbar sind. Die Eigenwahrnehmung, sowie die der Gefühlswelten anderer Menschen bezüglich Nähe und persönlicher Bedürftigkeit ist blockiert. Ihre Egozentrik und Begrenztheit ist ihnen aufgrund der unbewussten Bewältigungsstrategie der permanenten Ignoranz, sich selbst und anderen gegenüber, nicht bewusst. Obwohl sie sich sehr bemühen niemanden zu verletzen und Konflikte konsequent vermeiden, sind sie aufgrund ihrer Egozentrik eigentlich ständig darin verwickelt. Es gibt seltene Augenblicke in denen sie sich unvermittelt öffnen und mitteilen. Diese gehen so unvermittelt vorbei, wie sie dahergekommen sind.
Die Gemeinsamkeit der gegenpolaren Halbkreise ist der menschliche Charakter und dessen Komplexität. Da diese besonderen Horoskope die Extreme der vollen und leeren Hälfte zu einem Ganzen vereinen, ist der Lebensweg problematisch. Das Bild der Balance verdeutlicht das.
Es ist mir eingefallen, weil ich in Kreta einmal Straßenkünstler gesehen habe, die vier bis fünf Stühle in aberwitziger Geschwindigkeit aufeinander stapeln konnten und dann ganz oben auf der Stuhllehne balancierend einen Handstand machten. Aber, ich schweife vom Thema ab, oder nicht?
Die Konsequenz ist, dass uns hier Verhaltensauffälligkeiten, wie Narzissmus, Autismus, latente Schizophrenie und tiefe Depression bis hin zum Selbsthass begegnen „Die Berührung mit Themen der nicht besetzten Hälfte und die Bewältigung derselben, ist immer problembehaftet, weil der dynamische Bezug und eine realistische Haltung gegenüber ihrer Ebene fehlen.“ *(g)
Anzunehmen was ist, heißt insbesondere realistisch zu sein bezüglich dessen, was möglich ist. Das Wertesystem der Normalität ist hier keine Orientierungshilfe. Es geht vielmehr darum die Person bei allem, was hilft ihre komplizierte Balance zu halten zu unterstützen. Ideal sind eine achtsame Begleitung und spezielle Fördermethoden bezüglich ihrer Besonderheit und ihrem individuellen Potential. Das Training ihrer Eigenwahrnehmung und ihres Körperbewusstseins kann erheblich dazu beitragen, sich besser zu spüren und liebevoller mit sich selbst umzugehen. Phasen des Selbsthasses sind hier keine Seltenheit. Schamanische Praktiken, wie Krafttierreisen und Seelenarbeit eröffnen diesen sensiblen Seelen Räume, in denen sie ihren permanenten Stress loslassen können. In meiner schamanischen Arbeit habe ich bemerkt, dass sie erstaunlich offen sind für Anders Welten und gut strukturierte Rituale.
„Ich finde es immer spannend, wie der Ausgleich von Extremen passiert, bin neugierig darauf, wie derart starke Polaritäten gelebt werden und sich im Leben äußern. Ebenso erstaunlich finde ich, wie viele Varianten an individuellen Lösungen und Geschichten es gibt. Und ich bin fasziniert von dem, was diese Persönlichkeiten so stark und gleichzeitig verwundbar macht. “ *(h)
Partnerschaften und Bindungen sind durchaus möglich und bieten die Chance neue Erfahrungen zu machen, innerlich zu wachsen. Sie können sehr unterstützend wirken. Das Thema Familiengründung hingegen ist schwierig. Ich hatte eine Klientin mit einer leeren oberen Hälfte. Ihr fehlte eine berufliche Vision. Ihre Motivation Kinder zu bekommen bestand darin, dass dies ihr Problem lösen würde. Unbewusst wollte sie die untere, ihr vertraute Hälfte nicht verlassen. Wirklich mütterliche Gefühle waren offensichtlich nicht der Grund.
Mir scheint, dass die Menschen mit diesen ungewöhnlichen Horoskopen etwas zu Ende bringen. Das ist insbesondere der Fall, wenn das System der Ursprungsfamilie durch schwere Schuld belastet ist. Dazu gehören Gewalttaten, teils unter Geschwistern und kriminelle Machenschaften, sowie in Deutschland die aktive Mitgliedschaft bei der SS.
Ein buddhistischer Ansatz bezüglich Karma und Wiedergeburt ist die Frage, ob anderen Menschen Schaden und Leid zugefügt wurde. Das wären z.B. uneheliche Kinder, Betrügereien mit Geld, schwerwiegende Täuschungen etc…
Richard ist es gelungen in seiner Sturm und Drang Zeit niemandem zu schaden. Das empfinde ich als gutes Zeichen. Mittlerweile ist er ein Einzelgänger, der sich mit seiner Situation arrangiert hat. Bei Sharon ist dies ebenso der Fall. Sie war konsequent in sich selbst verstrickt. Als attraktive Frau hatte sie kein Problem einen Partner zu finden, ist glücklich verheiratet und kinderlos geblieben. Mit dem Buddhismus hat sie ein zuhause gefunden, dass ihre Seele nährt.
„Was die Botschaft der Seele betrifft würde mich das Horoskop von Sharon im nächsten Leben interessieren. Das dürfte ja nur anders sein, wenn die Lektion gelernt wurde. Aber es ist ja eh unwahrscheinlich dass ich es in die Finger bekomme, oder?“ * (i)
Ursula Sammann
Schamanin, Buddhistin, Beraterin, Tarot- u. Astrologie-Expertin, Autorin.
Verwendete Literatur:
(1) Tierney, Bill, Die Dynamik der Aspektanalyse, Hugendubel, 1991
(2) Dethlefsen, Thorwald, Krankheit als Weg, Goldmann 1991
(3) Melanie Reinhart, Chiron-Heiler und Botschafter des Kosmos, edition Astrodata 1991
* Zitate aus meinem Buch, „Seelenlandschaft Horoskop“ :
(a) S.46, (b) S.47, (c) S.61, (d + e) S,60, (f) S.59, (g + h) S.60, (i) S 61