Die Kosmosophie der Kathedrale von Chartres
von Rosmary Dresbach
Chartres liegt süd-westlich von Paris auf dem Weg in die Bretagne. Die gotische Kathedrale steht auf einem geomantischen Kraftplatz, wie u.a. einige Pyramiden und Stonehenge. Sie verbindet die Energien des Kosmos mit der Erde.
Dieses großartige Bauwerk wurde in nur 30 Jahren vollendet. Menschen aus allen Schichten haben dabei aus religiösen Beweggründen tatkräftig geholfen. Ursprünglich waren neun Türme geplant! Das Kirchenschiff ist nord-östlich ausgerichtet, nach dem nördlichsten Mondaufgang (ca. alle 18 1/2 Jahre zu erleben). In und um die Kathedrale gibt es keine Gräber. Die Geburt, Wiedergeburt, das Leben steht im Mittelpunkt, verbunden mit den Kräften von Himmel und Erde.
Die Krypta war (und ist) ein Ort der Heilung. Schon zu megalithischen Zeiten wurde an der heiligen Quelle im heiligen Hain die „Virgo Paritura“ verehrt. Die Druiden, Priesterinnen und Priester der Natur, haben die ätherischen Kräfte und heilenden Wasser von Chartres erkannt. Seit Urzeiten wurde an dem Ort der heutigen Kathedrale gebetet und Rituale gefeiert. Caesar schrieb in seinem „Bellum Gallicum“ über „Carnutum“, als ein uraltes Mysterienzentrum der Kelten. Heute wird die Kathedrale als der bevorzugte Wohnort der göttlichen Maria-Sophia verehrt.
Um das Jahr 1000 gegründete Bischof Fulbert „Die Schule von Chartres“. Sie ist zu einem Begriff geworden. In ihr wurden die Erkenntnisse von Platon und Aristoteles gelehrt. Sie sind in der Architektur, den Plastiken (Aristoteles selbst ist dargestellt) und Fenster wieder zu finden. Die „Cosmographia“ von Bernardus Silvestris beschreibt die Hauptmotive des Denkens der „Schule von Chartres“. So sind nicht nur die sieben freien Künste dargestellt sondern gleich fünf Mal die Symbole des Tierkreises als Weg der Entwicklung. Das meditative Gehen im vollständig erhaltenen Labyrinth im tänzerischen Prozessionsschritt unterstreicht und ergänzt das seelische Erleben.
Anfang der 80iger Jahre war ich auf einer Reise mit meiner Familie zu den gotischen Kathedralen Nordfrankreichs zum ersten Mal in Chartres, wie viele Touristen für wenige Stunden. Seit Mitte der 90iger Jahre habe ich Chartres alle zwei/drei Jahre für wenigstens eine Woche besucht und erlebt. Als ich anfing, mich mit der Astrokartografie zu beschäftigen, stellte ich fest, dass meine Sonnenlinie genau durch Chartres geht. Schon bei meinem zweiten Besuch in Chartres durfte ich Herrn Larcher kennenlernen, den über den Kontinent hinaus begehrten, berühmten geistigen Führer in und um die Kathedrale.
In all den Jahren habe ich mir über die Anordnung der Symbole der Apostel um den Christus herum Gedanken gemacht: Stier, Löwe, Engel, Adler – also Stier, Löwe, Wassermann, Skorpion – von unten rechts beginnend. In der Reihenfolge dieses Tetramorphs ist eine geistige Aussage enthalten. Außerdem kann sie mit dem Mondzyklus erklärt werden, den alten Mondfesten. Der Zyklus beginnt mit dem Vollmond in der Stier-Zeit (Walpurgis), in der Löwe-Zeit wird mit dem abnehmenden Mond das Schnitterinnenfest/Kräuterweihe gefeiert, Lichtmess als Fest für den zunehmenden Mond fällt in die Wassermann-Zeit (Engel) und schließlich wird das Neumond-Fest (Dunkelmond) zur Skorpion-Zeit (Adler) begangen. Dort geschieht die Wandlung zur Geburt bzw. Wiedergeburt. Wenn Stier und Adler durch eine Lemniskate (liegende Acht) mit Löwe und Wassermann verbunden werden, zeigt sich die Zusammengehörigkeit der Zeichen, die sich im Tierkreis gegenüber stehen. Die Mandorla (das Weltenei), in der Christus sitzt, ist gleichsam die Ellipse, die sich aus den Schnittpunkten der Sonne-Mond-Umlaufbahn ergibt. Auch die Sonne hat ihre vier Ritualpunkte: die Frühlingstagsundnachtgleiche, die Herbsttagundnachtgleiche (Äquinoktien), die Sommersonnenwende und die Wintersonnenwende (Solstitien). Es gibt also acht Jahreskreisfeste. Das Licht, dem die Weisen aus dem Morgenland folgten, war ein achtstrahliger Stern. Leider wird er heute oft als fünfstrahlig dargestellt. Die oktogonale Form findet sich nicht nur bei Taufbecken. Die Acht wurde zur Zahl des Christus und auch von Maria. „Skorpion“ ist das achte Tierkreiszeichen und der Adler ein Symbol für Christus. Überhaupt spielt die Zahlenqualität und Zahlenmystik in der Kathedrale von Chartres eine große Rolle. Dazu noch ein Beispiel: das Labyrinth besteht aus genau 365 hellen Platten mit dunklen dazwischen.
Diese Ausführungen sind mit einem kleinen Blick durch ein Schlüsselloch zu vergleichen. Es gibt viele dicke Bücher von klugen, begeisterten, spirituellen Menschen, die versuchen, die Kathedrale von Chartres zu beschreiben. Nichts geht über das eigene seelische Erleben.
Die Kathedrale wird seit vielen Jahren renoviert und gesäubert. Den Innenraum habe ich als dunkle, beschützende „Höhle“ erlebt. Jetzt sind schon große Teile gereinigt. Aus der Neumond-Madonna wurde eine vom Kerzenruß befreite Vollmond-Madonna. Das von der Gotik erwünschte Licht erfährt eine Wiedergeburt, eine Auferstehung! Es ist ein großartiges Erlebnis die tellurischen Kräfte in diesem Licht zu erfahren und zu erspüren.