Heiligenstadt – astrologisch betrachtet. 2. Teil
Zum Himmel entrückt
Die räumliche Ausrichtung der Stadt folgt von der Bergkirche St. Martin im Westen nach Osten der heutigen Wilhelmstrasse entlang. Die Kernstadt ist im Zuge der Verleihung der Stadtrechte mit einer Stadtmauer umgeben worden und hat dadurch eine gewisse Gestalt bekommen, die in sich eine eigene Ordnung erzeugt. Misst man nämlich die Distanz zwischen dem Altar der St. Martin-Kirche und der Torwache am Geisleder Tor (Wilhelmstr. 105), erhält man eine Entfernung von ca. 720m. Eine Zahl, die 12 Abschnitte zu je 60 m ergibt und in mancherlei Hinsicht den 12 Zeichen des Tierkreises folgt.
Städte haben häufig eine astrologische Prägung. Dr. Bernhard Firgau und Gaby Marske-Power beschreiben dies am Beispiel von Heiligenstadt. Hier der 2. Teil ihrer Ausführungen
Schauen wir uns dazu den Stich von Merian aus dem Jahr 1646 an. Wie damals üblich ist das Bild „gesüdet“, das heisst anders als in unseren heutigen Karten, ist Süden oben, Osten links, Westen rechts, Norden unten, eigentlich wie ein Horoskop. Widder beginnt daher rechts und die folgenden Zeichen schliessen sich links an.
Im heutigen Stadtplan mit Norden oben ist deswegen die Reihenfolge der Tierkreiszeichen gegenläufig, Widder links beginnend. Natürlich fragt man sich, warum die Ost-West-Distanz nicht von Stadtmauer zu Stadtmauer gemessen wird.
Die Kirche ist ein eigenes geistliches Territorium und die Stadt ein weltliches. Es gibt ein sehr bekanntes Beispiel in Speyer, wo vor dem Dom ein grosser Brunnen („Domnapf“) steht. In früheren Zeiten waren Straftäter, die es schafften, sich bis zum Domnapf zu retten, der weltlichen Gerichtsbarkeit der angrenzenden Stadt entkommen. Der Dombezirk ist so etwas wie eine Insel in der Stadt. In unserer Betrachtung für Heiligenstadt fällt die Bergkirche in den Bereich der Fische, also astrologisch ins „Abseits“ der Gesellschaft. Anders als in Speyer ist die Kirche durch ihren Platz auf einem Berg der Stadt geradezu zum Himmel entrückt. Es scheint also legitim die Messung vom Altar, dem der Stadt zugewandten Ende der Kirche zur östlichen Stadtmauer vorzunehmen.
Der Tierkeis im Plan der Stadt
Ein Rätsel bleibt, warum sich hier die Teilung innerhalb der Stadtmauern in 12 Zeichen vollzieht und in anderen Städten in 30m langen Schritten (Heidelberg) oder einfach nach den gesetzten Strassenquadraten (Mannheim). Jede Stadt hat offenbar ihren eigenen Rhythmus zu entfalten.
Einzelne Stationen dieser Abfolge der Tierkreiszeichen in Heiligenstadt wollen wir uns näher ansehen. Besonders in Betracht zu ziehen sind die Funktionen der dortigen Gebäude und was sie für die Menschen des Ortes bedeuten. Aber auch Namen von Strassen und Häusern, die zu Tierkreiszeichen in Beziehung stehen.
Der Widder steht im Tierkreis für den Kopf, das Haupt und ist politisch gesellschaftlich auch das „Oberhaupt“ einer Gemeinde. St. Martin als höchster Punkt am Ort setzt daher mit dem Altar als dem spirituellen Mittelpunkt der Kirche den Anfang.
Vom Widder geht auch die Wilhelmstrasse aus. Die Wilhelmstrasse ist in ihrer Funktion eine Hauptstrasse, ausgehend vom Haupt (=Widder) des Ortes, in dessen unmittelbarer Umgebung auch die höchsten Amtsgebäude stehen. Namenspatron der Strasse ist Kaiser Wilhelm II. „Wilhelm“ verkörpert im konkreten Fall als Staatsoberhaupt ebenfalls das Widderprinzip und auch etymologisch, da das althochdeutsche Wilhelm Wille und Schutz bedeutet.
Interessant wäre den früheren Namen der Strasse zu kennen. Was westlich vor dem Altar von St.Martin liegt, gehört zum Zeichen Fische aus dem vorherigen Tierkreiszyklus. Dort ist der Friedensplatz und ehemalige Standort des Neptunbrunnens. Neptun beherrscht das Zeichen Fische.
Im Stier, dem Zeichen des Geldes, finden wir die Filiale der Göttinger Volksbank auf der Göttinger Strasse, die quer zur Wilhelmstrasse verläuft. Es gibt natürlich noch mehr Banken, die nicht im Bereich Stier verlaufen. Erstaunlicherweise fällt aber die Hauptstelle der Volksbank Heiligenstadt Wilhelmstr. 107 auf der anderen Seite der Stadt ebenfalls gerade noch in den Bereich Stier, wenn man die Tierkreiszonen nach dem ersten Durchlauf bis zum Geisleder Tor weiterrechnet.
Zum Zeichen Zwillinge fällt auf: Wilhelmstr. Nr. 15 Buchhandel, Schreibwaren. Krebs kennzeichnet astrologisch die Familie und Wohnung. Der Hauptbereich der Stubenstrasse erstreckt sich dort. Die Stubenstrasse hat ihren Namen von den Wohnhäusern der ersten Anwohner, die den Bereich der Bergkirche im Anschluss an den Knickhagen besiedelt haben.
Löwe Kollegiengasse Eingang zum Museum (Heimatmuseum). Auf dieser Höhe ist das ehemalige Haus „Löwenthal“ in der Lindenallee 22, welches der Familie Löwenthal gehört hatte.
Gedenktag des Aegidius ist der 1.September (Jungfrau). Die Legende sagt, dass er im Kloster einst von einem Mönch mit drei Fragen zur Jungfräulichkeit Marias konfrontiert wurde, die der Fragende in den Sand geschrieben hatte. Darauf wuchsen aus dem Sand drei Lilien, Symbole der jungfräulichen Reinheit.
Auf der Höhe der Aegidienkirche, die südlich der Wilhelmstrasse liegt, ist nördlich der Wilhelmstrasse die St. Marien-Kirche mit Annakapelle. Maria gilt als Symbol der Jungfrau. Beide Kirchen liegen im Wesentlichen im Abschnitt Jungfrau.
Das Brauhaus (bei Merian mit “Q” markiert) war eine städtische Einrichtung. Bier wird aus Gerste gebraut. Das Sternbild Jungfrau zeigt diese in bildlichen Darstellungen meist mit einer Kornähre in der Hand. Es gibt auch “Am Brauhaus”, ein Platz, der allerdings im Bereich des Skorpion zu finden ist.
Von den beiden Apotheken auf der Wilhelmstrasse ist die Schwanenapotheke in Nr. 40 in der Jungfrau, die andere die Vincenzapotheke bei Nr. 103 im anderen Apothekerzeichen Fische.
Waage ist eines der Zeichen der Gerechtigkeit. Dort liegt das Amtsgericht. In der „Ordnung des Schultheißen-Gerichts“ vom 14/15.Jh. heisst es im ersten Satz, dass das Gericht im Rathaus tagen soll, also an der Stelle, wo die Waagezone ist.
Skorpion Am Brauhaus, Kneippbecken, therapeutische Anwendung von Wasser Der Eichsfelder Hof war ein ehemaliges Patrizierhaus. Die Führungsschicht einer Gemeinschaft wird vom Zeichen Schütze umfasst, welches z.B. die geistig/ethische Expansion kennzeichnet.
Steinbock: Am Jüdenhof verweist auf die Juden, die traditionell dem Steinbock als Zeichen der Tradition zugeordnet werden.
Klinikum und Kurklinik erstrecken sich über zwei Zeichen mit Beginn im Wassermann.
Schuhmacher, Schuhgeschäft (Wilhelmstr. 99) deuten auf Fische, der im Gegensatz zum Widder in körperlicher Hinsicht das untere Ende, die Füsse des Menschen betrifft. Die Vincenzapotheke Nr. 103 wurde schon erwähnt.
Zusammenfassung
Heiligenstadt hat starke Fischeprägung durch den Zeitraum der Verleihung der Stadtrechte. Dies spiegelt sich im Namen und dem populären Neptunbrunnen wieder. Markant ist auch die Jungfrau/Skorpion-Präsenz durch die drei grössten Kirchenbauten im Zentrum. Überregional ist Heiligenfeld durch seine drei grossen Kirchen von Skorpion und Jungfrau geprägt.
Die Stadt hat mit ihren Ausmassen von 720 m und die Stadtmauer eine Abgrenzung, die eine astrologische Ordnung in zwölf Tierkreiszeichen hervorgebracht hat. Die astrologischen Manifestationen sind wie am Neptunbrunnen gezeigt häufig nicht bei Stadtgründung geplant, sondern aus der lebendigen Stadtkultur entstanden.