„Wachsen heißt, sich der Weite des Himmels öffnen und zugleich in der Erde wurzeln“
Interview des DAV mit Anita Ferraris und Christian König
Beide haben bereits auf dem DAV-Kongress 2013 gemeinsam das Thema „Casanova“ präsentiert. Klemens Ludwig sprach mit ihnen über die geheimnisvolle Welt der Alchemie, deren Verbindung zur Astrologie und den praktischen Nutzen im Leben.
DAV: Ihr präsentiert auf dem nächsten DAV-Kongress gemeinsam das Thema „Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Astrologie und Alchemie“. Wie kam es zu dieser Kooperation?
Christian König: Da müssen wir ein bisschen ausholen. Nach dem Riesenspaß, den wir mit unserem Vortrag über „Casanova“ hatten, wollten wir natürlich unbedingt wieder kreativ zusammen arbeiten. Es war ziemlich schnell klar, dass wir etwas über „Alchemie“ machen wollten, da jeder von uns mit dem Thema auf verschiedene Weise schon immer verbunden war.
Anita Ferraris: Am 9. Juli 2014 fiel der Startschuss. Seither ist jeder Mittwoch „Alchemie-Tag“, bzw. Labortag: Lesen verschlüsselter alchemistischer Texte, diskutieren, streiten und ringen um deren Bedeutung, eintauchen in die magische alchemistische Bilderwelt, schließlich unsere eigenen Texte zu Papier bringen, Bilder auswählen, Musik finden, und uns immer wieder die Frage stellen, was uns damit verbindet …
DAV: Die Alchemie wird zumeist als Element einer mystifizierten Vergangenheit gesehen, mit deren Hilfe früher unedle in edle Metalle verwandelt werden sollten. Heute wird sie eher als Symbol betrachtet für die Vervollkommnung auf dem eigenen Lebensweg.
Christian König: Alchemie ist für uns – und da sind wir uns einig – eine sehr alte, ganzheitliche und mystische Weltsicht. Das Klischee unterstellt mittelalterliche Quacksalber, die – gebeugt über geheime, alte Manuskripte – versuchten, aus allen möglichen und unmöglichen Zutaten Gold zu produzieren oder den „Stein der Weisen“ zu finden. Dieses Bild stimmt nur zum Teil. Alchemisten, die einzig vom Gold besessen waren, gab es zwar, aber sie haben mit wahren Alchemisten ungefähr so viel zu tun wie Dieter Bohlen mit Mozart.
Anita Ferraris: Die wahre Alchemie ging bei der Betrachtung der Natur von anderen Denkansätzen aus, als wir es heute mit unserem Verständnis der Welt gewohnt sind. Ihre Betrachtungsweise wird heute als „magisches Weltbild“ bezeichnet. Das magische Weltbild öffnet eine komplett neue Sicht auf das Leben: alles ist miteinander verwoben.
Christian König: Ein Beispiel: Wir haben vorhin von unserem „Alchemie-Tag“ gesprochen, dem Mittwoch. Erst vor ein paar Wochen fiel uns auf, dass Mittwoch ja der Tag des Merkurs ist. Und Mercurius ist der Gott der Alchemie. Zufall?
DAV: Die Astrologie erscheint etwas konkreter, denn sie verfügt über eine klare Basis, ein Horoskop, woraus Erkenntnisse über das Wesen des Horoskopeigners und dessen Zukunft abgeleitet werden können. Wo seht ihr die Verbindung beider Disziplinen?
Anita Ferraris: Alchemie und Astrologie gehen für uns Hand in Hand wie Geschwister. Die Alchemie gehört keineswegs einer verstaubten, überholten Vergangenheit an. Sie ist der Astrologie ebenbürtig. In unserem Vortrag gehen wir genauer darauf ein. Die verschiedenen alchemistischen Umwandlungsprozesse finden wir zum Beispiel auch als Thematik im Geburtshoroskop, in den Aspekten und besonders bei Transiten und Progressionen.
DAV: Wie kann die Astrologie von der Alchemie profitieren?
Anita Ferraris: Naja, die Astrologie ist ohne Frage ein großartiges Erkenntnisinstrument. Wir alle wissen das. Aber seien wir doch mal ehrlich. Manchmal sind unsere Beratungen und Horoskopanalysen recht kopflastig und intellektuell.
Christian König: Als Klient bekomme ich eine Unzahl von Informationen. Aber was mache ich dann damit? – Die Alchemie mit ihrer tief berührenden und unausweichlichen Bilderwelt lässt als Ergänzung das geistig Verstandene sozusagen in den Bauch rutschen, wo es dann leichter „verstoffwechselt“ werden kann.
Anita Ferraris: Mit Hilfe der alchemistischen Bilder und dem Wissen um die verschiedenen alchemistischen Entwicklungsstufen kann am Ende einer astrologischen Beratung eine Weiterführung und Vertiefung erfolgen.
DAV: Damit zeichnet ihr ein sehr modernes Bild von der Alchemie
Christian König: Ja, zum Beispiel im Sinne von Dennis William Hauck, ein Alchemist der Gegenwart, der einmal gesagt hat: „Alchemie ist die Kunst der Transformation“. Davon kann die Astrologie enorm profitieren – heute wie damals. Sie hilft jedem Menschen mit Krisensituationen umzugehen und den tieferen Sinn darin zu fühlen und zu erkennen.
Anita Ferraris: Während unserer intensiven Beschäftigung mit der „Suche nach dem Stein der Weisen“, haben wir beide nicht nur geistig-intellektuell viel gelernt, sondern auch auf der ganz persönlichen Ebene die Kraft der Alchemie erfahren. Wir haben in dieser langen Zeit selbst die alchemistischen Phasen erlebt. Wir waren zwischenzeitlich an einem Punkt, an dem wir uns so gestritten haben, dass wir uns gegenseitig sagten: „Mach doch alleine weiter. Ich steige aus!“
Christian König: Aber das Wissen um die alchemistischen Stufen der Transformation hat uns weiter getragen und uns geholfen, unsere „Ego-Spielchen“ sein zu lassen. Sicher haben wir „profitiert“, vor allem aber haben wir viel über uns gelernt und erkannt – und das war das Geschenk, das die Alchemie uns gemacht hat.
DAV: Gibt es heute noch eine konkrete alchemistische Praxis?
Anita Ferraris: Aber ja! Bei Menschen auf spirituellen Erfahrungswegen, in machen Ateliers von Künstlern und sogar in vielen psychotherapeutischen Prozessen werden, bewusst oder unbewusst, alchemistische Prinzipien angewendet, aber auch nach wie vor ganz klassisch in alchemistischen Schulen und spagyrischen Laboren. Und Harry Potters „Stein der Weisen“ kennt heutzutage jedes Kind.
Christian König: Ganz konkrete Beispiele finden wir sogar auf Facebook: Die „Schule der Alchemie“ mit 791 Mitgliedern oder „Alchemy Study“ mit 12 730 Mitgliedern. 2011 fand in Long Beach, Kalifornien die „International Alchemy Conference” mit 40 Referenten statt. In der Nähe von Washington kann man Kurse in der „Spagyricus School of Alchemy“ belegen.
DAV: Spagyrik wird vielen nicht vertraut sein.
Anita Ferraris: Die Spagyrik ist die Herstellung von Medikamenten nach den Gesetzen der Alchemie. Manche Pharmazeuten beziehen sich bei der Herstellung der spagyrischen Essenzen auch heute noch auf Paracelsus. Moderne Alchemisten wie Carl-Friedrich Zimpel oder Alexander von Bernus haben das alte Wissen in die Naturheilkunde eingebracht, wo es nach wie vor sowohl für Menschen wie für Tiere Anwendung findet.
DAV: Was entgegnet Ihr Kritikern, die einwenden, eine Verbindung mit der Alchemie untergrabe die Seriosität der Astrologie?
Christian König: (schmunzelt): Ich habe gar nicht mitbekommen, dass die Astrologie ein seriöses Image hat … Ok, Spaß beiseite. Als erstes: Was weiß jemand, der das behauptet, über die Alchemie? Wie sehr hat er sich damit beschäftigt oder wie sehr ist er im Klischee des Goldmachens und der brodelnden Töpfe verhaftet? Wer sich nicht gründlich informiert hat, kann nicht mitreden. Es ist genau so, als würde man sich mit einem Fisch über Joggingschuhe streiten wollen.
Anita Ferraris: Genau! Beuys hat einmal gesagt: „Man kann sich doch nicht ernsthaft unterhalten wollen, wenn man nicht einmal vorher die Begriffe geklärt hat!“ Dann könnte man ebenso die Verbindung von Astrologie und Tarot als unseriös verurteilen. Man wird doch auch nicht eine so renommierte Astrologin wie Liz Greene als unseriös abstempeln! Sie hat sich fundiert mit der Alchemie und der Astrologie in Büchern und Vorträgen auseinander gesetzt.
DAV: Welche Voraussetzungen muss jemand mitbringen, der sich für Alchemie interessiert und welche Perspektiven bieten sich den Interessenten?
Christian König: Gelebte Alchemie kann man mit einem einfachen Satz beschreiben: Wenn dir dein Leben nicht passt, kannst du es ändern und danach mit Mut und Beharrlichkeit zum Eroberer deines Daseins werden. „Jeder ist seines Glückes Schmied“. Dazu fanden die Alchemisten praktische Wege der Verwirklichung. Ihre Methoden sind heutigen psychologischen Ansätzen absolut ebenbürtig.
Anita Ferraris: Nicht jeder wird das nutzen wollen und nicht jeder wird diesen Weg gehen wollen – es ist ein tiefgreifender Weg. Wer sich dafür entscheidet, braucht Neugier, die Fähigkeit, sich auf eine Entdeckungsreise einzulassen, auf eine Achterbahnfahrt, jenseits vom gewohnten vertrauten sicheren Trott. Außerdem braucht er Geduld, Mut und den Willen zu stetigen Wandlungsprozessen. Und er muss sich für mehr interessieren als für die materielle Welt. Er muss ein unerschrockenerer Suchender sein.
Christian König: Mir fällt in diesem Zusammenhang Martin Heidegger ein. Er hat sinngemäß einmal gesagt: Wachsen heißt, sich der Weite des Himmels öffnen und zugleich in der Erde wurzeln.
DAV: Anita und Christian, ich danke euch für das Interview.
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Über die Referenten
Anita Ferraris
Koblenzerstrasse 68
50968 Köln
Tel.: 0221-312940
E-Mail: [email protected]
Internet: www.astrologie-anitaferraris.de
Anita Ferraris ist geprüfte Astrologin DAV. Die frühere Theaterregisseurin ist seit 2005 als Heilpraktikerin (Psychotherapie) in ihrer Praxis für Körpertherapie und Energiearbeit in Köln beratend und therapeutisch tätig. Sie leitet eine Astrologieschule, die als Ausbildungszentrum des DAV zertifiziert ist und ist seit 2010 Mitglied der DAV-Kongresskommission. Astrologischer Schwerpunkt: Psychologische Astrologie, Horoskopaufstellungen
Christian König
Alter Fischmarkt 24
D-48143 Münster
Tel.: 02 51 / 24 63 28 5
E-Mail: [email protected]
Internet: www.christiankoenig.eu
Christian König, geprüfter Astrologe DAV und DAV-Supervisor, war 4 Jahre lang Mitglied der Ausbildungskommission und gehört seit 2009 der Kongresskommission an. Nach zehnjähriger Tätigkeit in verschiedenen psychotherapeutischen Kliniken arbeitet der Diplom-Psychologe, Psychologische Psychotherapeut (Tiefenpsychologie) und Traumatherapeut seit 2004 in eigener astrologischer und psychotherapeutischer Praxis in Münster. Astrologischer Schwerpunkt: Fixsternastrologie, Visual Astrology.