„Magische Momente in der Beratung“
Interview vom DAV mit Markus Jehle
„Die Elixiere der Astrologen – aus welchen Quellen wir trinken, was uns bekommt und woran wir uns mitunter verschlucken“, so lautet der Titel des Eröffnungsvortrags, den Markus Jehle halten wird. Er hat sich auch als Erster einem Interview gestellt, in dem er seinen Bezug zum Kongress-Motto erläutert und deutlich macht, was die Besucher von ihm erwarten können.
DAV: Du wirst auf dem kommenden DAV-Jahreskongress, der unter dem Motto „Lebenselixier Astrologie“ steht, den Eröffnungsvortrag halten. Was verbindest du mit dem Thema?
Für mich ist es eine Umsetzung dessen, was Neptun in Fische bedeutet – ein direkter Zugang zur Quelle. Astrologie, vor allem in Form der Beratung, ist eine Kunst. Man muss natürlich sein Handwerkszeug beherrschen, aber das Entscheidende geschieht darüber hinaus, wenn es in einer Beratung zu magischen Schlüsselmomenten kommt, die sich ergeben, die nicht planbar sind. Ich höre mich manchmal etwas sagen, das mir wie eine Inspiration eingegeben wird. Darin liegt ein Zauber, und eine Beratung wird zu einer rituellen Handlung, zu einem besonderen Ereignis für den Menschen, der zu mir kommt und eine Wandlung vollziehen möchte. Und die Astrologie ist das Elixier, das diese Wandlung bewirkt.
DAV: Das klingt sehr mystisch. Die meisten Klienten kommen aber mit sehr konkreten Anliegen. Kann ihnen diese Sicht überhaupt gerecht werden?
Wer konkrete Antworten auf konkrete Fragen wünscht, ist bei mir falsch. Meine Zielgruppe sind mündige Klienten, die neugierig auf sich und ihre Potenziale sind und Inspiration suchen. In meinem Vortrag geht es zunächst einmal darum, für mich und für uns Astrologen die Frage zu stellen: Woher kommt unser Wissen? Oder um es poetisch zu formulieren: Aus welchen Quellen trinken wir? Woraus schöpfen wir? Das geht über eine rationale Erklärung hinaus und beschert auch uns als Berater künstlerische, schöpferische Momente.
DAV: Würde der Zauber verschwinden, wenn es auf die Fragen eine Antwort gäbe?
Das kann gut sein. Ich stelle die Fragen nicht in den Raum, um Antworten zu bekommen, sondern um dazu anzuregen, sich solchen Fragen zu stellen. Und ich weiß, dass es nicht nur mir so geht. Vor zwanzig Jahren habe ich einmal Liz Greene interviewt. Ich habe sie gefragt, ob nach so vielen Beratungen, die sie schon gemacht hat, nicht mit der Zeit eine gewisse Routine entsteht. Sie wies das weit von sich und meinte, jede Beratung beinhalte immer eine besondere Magie.
DAV: Zurück zu den Klienten, die durch das Elixier der Astrologie eine Wandlung erfahren sollen. Bekommst du mit, ob so eine Wandlung stattfindet? Kannst du beobachten, ob sie die magischen Momente tatsächlich in eine konkrete Veränderung umsetzen?
Es gibt da zwei Aspekte. Zunächst einmal weiß ich, dass die Klienten in einer guten Beratung solch magische Momente erleben, wenn zum Beispiel jemand zu mir kommt, den ich noch nie gesehen habe und er nach einer halben Stunde meint, ich hätte all seine geheimen Tagebücher gelesen.
Was ich jedoch langfristig bei meinen Stamm-Klienten mitbekomme, ist mitunter ernüchternd, das kann ich nicht leugnen. Ich hatte die Wirkung meiner Arbeit lange Zeit überschätzt, Veränderungen sind offenbar schwierig und die Entfaltung von Potenzialen braucht Zeit. Die Verantwortung für die persönliche Weiterentwicklung liegt beim Klienten selbst. Er kann seine Chancen nutzen oder sie verstreichen lassen. Meine Rolle ist es, die passenden Impulse zu geben; insofern betrachte ich das Horoskop als Stimulus, als Quelle der Inspiration, und die praktische Umsetzung liegt beim Klienten.
DAV: Du bist nicht nur Astrologe, sondern auch Psychologe, kennst also verschiedene Systeme. Wie siehst du das Potenzial der Astrologie im Vergleich zu anderen?
Da steht die Astrologie sehr gut da. Unsere Basis bilden bekanntlich Symbole. Allein wenn wir uns auf Planeten, Zeichen und Häuser beschränken, sind wir bei 1.440 Kombinationsmöglichkeiten, die gedeutet werden müssen. Unser Ringen darum, diese Symbolik zu vermitteln, lässt uns sehr kreativ sein. Das beginnt bereits mit der Sprache. Wissenschaftliche Untersuchungen aus den 1960er Jahren, die sich mit Gutachten von Psychologen, Graphologen und Astrologen befassen, haben herausgefunden, dass wir einen um ein Drittel größeren Sprachraum besitzen. Die theoretische Differenziertheit wird auch sprachlich umgesetzt. Aber es geht nicht nur um Ausdrucksformen. Diese Kreativität bringt auch bei dem Klienten etwas in Resonanz, was andere nicht erreichen. Das Potenzial des Klienten wird herausgearbeitet.
DAV: Viele Klienten wollen aber lieber wissen, was kommt, als das, was ist. Wie gehst du damit um?
Wir verfügen auch in diesem Bereich über großartige Methoden, die anderen Systemen nicht zur Verfügung stehen, nämlich die verschiedenen Formen der Prognose. Transite, Progressionen, Solare und andere Methoden, mit denen wir die Qualität der Zeit erfassen. Sie machen deutlich, wo ein Klient gerade steht, welche Themen für ihn aktuell relevant sind, worauf er sich einzustellen hat.
DAV: Welche Herausforderungen siehst du momentan für die Astrologie?
Um das Motto des Kongresses wieder aufzugreifen: Wie entwickelt sich dieses Elixier weiter? Woraus entsteht neues astrologisches Wissen? Wie integrieren wir die zahlreichen Neuentdeckungen von Himmelskörpern? Wie kommen wir da zu Deutungen? Aus der Mythologie? Durch Beobachtung und Empirie? Das alles ist zwar wichtig, reicht aber nicht. Die Astrologie ist für mich fast wie ein Medium.
Eine zweite Herausforderung sehe ich in der Sicherung des Erreichten. Astrologie ist schon länger kein Wachstumsmarkt mehr. Manches ist sogar im Schwinden begriffen. Es stellt unter den gegenwärtigen Quadratkonstellationen von Uranus/Pluto, Jupiter/Saturn und Saturn/Neptun eine große Herausforderung dar, die bislang erreichten Standards zu erhalten.
DAV: Wo siehst du dieses Potenzial als Kraft, die nicht nur individuell wirkt, sondern bis in die Gesellschaft hinein?
Wir haben auch gesellschaftlich viel zu sagen, nicht nur in der individuellen Beratung. Wir können die großen Entwicklungen erklären und sehen, wohin es geht. Es ist nicht unsere Aufgabe, konkrete Ereignisse vorherzusagen, sondern die allgemeinen Entwicklungen zu erklären. Astrologie generiert Bedeutung. Dabei hilft uns unser zyklisches Verständnis. Wie haben sich die Konstellationen, die wir gerade beobachten, in der Vergangenheit ausgewirkt? Welche Parallelen gibt es? Wir können Zusammenhänge herstellen. Früher wurde dieses Potenzial durchaus geschätzt, und ich wünsche mir, dass wir wieder dahin kommen.
DAV: Erkennst du Ansätze dafür? Hattest du schon Politiker oder andere Vertreter des öffentlichen Lebens bei dir in der Beratung?
Nein, Gabriel oder Wowereit waren noch nicht da, und auch sonst niemand aus diesen Kreisen. Innerhalb der gesellschaftlich relevanten Kräfte liegt im mittleren Management und – insbesondere hier in Berlin – bei den freischaffenden Kreativen das größte Potenzial, die größte Offenheit. Die intellektuelle Elite tut sich dagegen noch schwer mit der Astrologie. Ich glaube, dass wir eher über die Kultur, die Religion und die Kunst zurück in die Gesellschaft finden, wenn Menschen zum Beispiel feststellen, dass sie mit ihren Fragen bei der Astrologie gut aufgehoben sind und zu einer klaren Orientierung für ihren Lebensweg finden. Auf diesem Weg kann es uns gelingen, wieder zu einem Elixier für die gesamte gesellschaftliche Entwicklung zu werden.
DAV: Das ist eine sehr optimistische Vision.
Ja, ich bin sehr optimistisch, denn wir sind als Disziplin so gut aufgestellt wie nie zuvor in der Geschichte. Unser Wissen ist hervorragend aufbereitet und steht allen zur Verfügung. Es dürfte kaum einen Teilbereich geben, der nicht publizistisch erfasst ist, und ich wundere mich immer wieder, welche Neuerscheinungen doch noch auf den Markt kommen. Viele Astrologen verfügen, nicht zuletzt dank guter Ausbildungszentren, über ein fundiertes Wissen. Wir stehen also bereit, in die Mitte der Gesellschaft zurückzukehren.
DAV: Zum Schluss noch eine selbstkritische Frage: Siehst du auch Gründe bei uns, warum wir uns offensichtlich so schwer damit tun, den Weg zurück in die Mitte der Gesellschaft zu finden?
Zweifellos gibt es auch die. Ein Hindernis ist die Überheblichkeit, mit der manche auftreten, nach dem Motto „Wir haben das Wissen und den Durchblick“. Dadurch werden die Möglichkeiten für potenzielle Partner sehr reduziert. Zudem brauchen wir mehr Grenzgänger, die sich auch in anderen Fachgebieten gut auskennen und so Brücken bauen zu den verschiedenen Disziplinen. Mein Eindruck ist, dass die Astro-Szene bislang zu sehr mit sich selbst beschäftigt war. Es ist an der Zeit, über den Tellerrand der eigenen Zunft hinauszublicken. Uns stehen womöglich mehr Türen offen als gedacht. Wichtig ist, dass wir auf möglichst verständliche Weise auf uns aufmerksam machen.
DAV: Herzlichen Dank und gute Wünsche, dass dein Optimismus ansteckend wirken möge.
Klemens Ludwig sprach mit Markus Jehle über das Lebenselixier Astrologie, magische Momente in der Beratung und den Weg der Astrologie zurück zur gesellschaftlichen Anerkennung