Astrologie-Kongress: „Der Klient ist mehr als sein Horoskop“
Interview mit unserem Referenten, Bernhard Firgau.
Bernhard Firgau, geboren am 26. April 1954, um 13:00 MEZ in Heidelberg, gepr. Astrologe DAV und Jurist, arbeitet in erster Linie als forschender Astrologe und Autor. Bekannt ist er als Mundanastrologe. Sein Forschungsinteresse richtet sich dabei auf Verbindungen zwischen den Menschen und ihren Horoskopen.
Dieser Bereich fasziniert ihn, weil er ganze Menschengruppen zusammenfassend betrachtet. Zu Firgaus Publikationen zählen die Bücher „Schicksalsgefährten und ihr Sonnengeheimnis“, „Dualseelenastrologie“ sowie „Praxisbuch Mundanastrologie“.
Klemens Ludwig sprach mit ihm über Grenzen der astrologischen Wahrnehmung und sein Unbehagen, wenn in ein Horoskop mehr hineingedeutet wird, als herauszulesen ist.
DAV: Du trittst auf unserem Online-Kongress „Im Anfang war das Wort“ sehr saturnisch auf, dir geht es nämlich um Grenzen; Grenzen der Wahrnehmung und der Aussage in der Astrologie. Wie kommst du zu dieser vermutlich nicht immer sehr beliebten Thematik?
Bernhard Firgau: Dazu motiviert mich die Redlichkeit gegenüber unserem Fach, wobei Wahrnehmungsgrenzen und Aussagegrenzen etwas Unterschiedliches sind.
DAV: Beginnen wir doch mit den Wahrnehmungsgrenzen.
Bernhard Firgau: Das erscheint zunächst recht banal: Ich muss aussortieren, weil die Astrologie eine Vielzahl von Möglichkeiten bietet, die ich gar nicht alle berücksichtigen kann. Ich muss mich zum Beispiel für ein Häusersystem entscheiden oder für einen Tierkreis, nehme ich den tropischen oder den siderischen? Dazu steht mir inzwischen eine kaum überschaubare Anzahl von Asteroiden zur Verfügung. Integriere ich sie? Übernehme ich einen Teil? Letztlich geht es immer darum, was sortiere ich aus, wofür entscheide ich mich?
DAV: Das erscheint mir nicht außergewöhnlich, diese Frage stellt sich doch immer.
Bernhard Firgau: Natürlich, aber mir ist es wichtig, sich das bewusst zu machen und immer mehr zu der Frage zu kommen, was ist wesentlich? Je mehr ich aussortiere, desto weniger Anhaltspunkte habe ich, desto mehr reduziere ich mich auf das Wesentliche. Genauer gesagt: Was ich für wesentlich halte. Am Ende bleibt ein Bild, mein Bild, vom Horoskop übrig, mit dem ich arbeite. Das ist weniger selbstverständlich als es klingt.
DAV: Dem kann ich gut folgen, und dann folgt vermutlich das eigentlich Spannende, die Aussagegrenze.
Bernhard Firgau: Genau, die ist brisanter. Ich habe also ein Bild vor mir, und ich muss mir zunächst bewusst darüber werden, was ich daraus nicht entnehmen kann, zum Beispiel das Geschlecht. Oder die körperliche Konstitution. Letzteres wird teilweise behauptet anhand der Besetzung des ersten Quadranten, der bekanntlich für den Körper steht. Demnach wird bei einem Klienten mit AC Schütze und Jupiter am AC eine körperlich sehr präsente Erscheinung erwartet. Das muss aber nicht sein, denn die Vererbung spielt eine ebenso wichtige Rolle.
DAV: Das mag sein, aber das sind nicht die wesentlichen praktischen Fragen, wenn jemand zur astrologischen Beratung kommt.
Bernhard Firgau: Stimmt, ich bin auch noch lange nicht am Ende mit den Aussagegrenzen. Kommen wir zu den Verhaltensweisen. Auch da gibt es klare Grenzen, wie Studien mit Kindern von Mehrlingsgeburten zeigen. Bei Zwillingen, die durch Kaiserschnitt nur wenige Minuten nacheinander geboren wurden, sehen wir teilweise ganz unterschiedliche Lebensläufe und Wertsysteme. Wie gehen sie mit ihrem nahezu identischen Horoskop um? Teilen sie es sich wie bei einem Combin, so dass der Ältere dem AC zugeordnet wird, während die Deutung für den Jüngere mit dem DC als AC beginnt? Ohne den Hinweis des Klienten erfahre ich aus dem Horoskop selbst allerdings nicht, dass er eine Zwillingsgeburt ist. Wie setze ich bei diesem Modell den AC bei Drillingen? Teile ich den Kreis durch drei?
DAV: Auch das sind Extremfälle der astrologischen Praxis. Ich erinnere mich in meiner Praxis über Jahre hinweg nur an zwei Beratungen von biologischen Zwillingen.
Bernhard Firgau: Auch am Extremfall muss sich die Astrologie beweisen, da es nicht um statistische Auswertung geht. Für den Zwilling ist es sein Fall, für den er eine Deutung seines Horoskops wünscht. Ich sehe noch weitere Aussagegrenzen. Das Horoskop sagt uns nichts darüber, in welcher Kultur jemand aufwächst und wie sein Umgang mit Frauen oder mit Männern ist. Für solche Fragen ist die gesellschaftliche Einbettung, in der er lebt, entscheidend. Auch Thomas Ring hat betont, dass das Horoskop dazu ebenfalls nur begrenzte Aussagemöglichkeiten enthält. Er hebt das gesellschaftliche Umfeld hervor, das er Milieu nennt. Und schon Ptolemäus schreibt, dass es Gruppenschicksale gibt, die aus Einzelschicksalen nicht erklärt werden können, wenn zum Beispiel durch einen Vulkanausbruch ganze Regionen vernichtet werden.
DAV: Wie weit das Horoskop etwas über das gesellschaftliche Umfeld verrät und ob da eine Beziehung besteht, ist eine kontroverse Frage, die den Rahmen des Interviews sprengen würde. Deine strenge Grenzziehung an dem Punkt ist sicher nicht allgemeiner Konsens.
Bernhard Firgau: Das mag sein, aber ich bin überzeugt, dass wir das Umfeld des Klienten kennen sollten und nicht aus der Radix allein interpretieren sollten. Der Umgang mit seinem Umfeld lässt sich dagegen sehen. Eine seriöse Deutung des Horoskops ist nicht möglich, wenn ich den Menschen nicht kenne. Und die Qualität der Deutung wird umso besser, je mehr ich von seinem Umfeld weiß.
DAV: Wie siehst du dann die Horoskop-Deutung für Kinder, vor allem Kleinkinder?
Bernhard Firgau: Das halte ich für sehr problematisch und bei Kleinkindern für nicht vertretbar, z.B. einen Lebenslauf zu entwerfen. Ebensowenig den Versuch, karmische Themen aus dem Horoskop zu entnehmen. Schauen wir auf die beiden Zwillinge des Fürstenpaares von Monaco, Gabriella und Jacques. Sie sind jetzt sechs Jahre alt, und welche Rolle im Fürstenhaus ihnen karmisch zufällt, verrät das Horoskop nicht, sondern die Erbfolgeregelung des Fürstentums. Das identische Horoskop kann ja nicht den einen zum Thronfolger ausrufen und den anderen nicht. Wenn man Karma als Schicksalsgesetz von Ursache und Wirkung sieht, müsste die jetzige Radix das „Wirkungshoroskop“ sein. Wo ist das zum Vergleich dazugehörige „Ursachenhoroskop“ aus dem früheren Leben? Transithoroskope deuten wir auch nicht isoliert, sondern im Verhältnis zur Radix.
DAV: Was motiviert dich, so engagiert, die Grenzen der Horoskop-Deutung hervorzuheben?
Bernhard Firgau: Die Deutungsgrenzen sind nur eines der Grundsatzfragen der Astrologie, die mich interessieren. Meine persönliche Erfahrung als Zwilling hat mich bewogen, mich diesem Thema zuzuwenden. Mein Zwillingsbruder hat mit seinem fast identischen Horoskop einen völlig anderen Lebenslauf entwickelt, als ich. Ich habe den Eindruck, dass ein Astrologe diese Unterschiede nicht allein aus meinem Horoskop herauslesen könnte. Manchmal wird trotzdem versucht, mehr herauszulesen, als die Radix hergibt.
DAV: Zum Beispiel?
Bernhard Firgau: Konkrete Aussagen etwa zum Berufsweg. Mein eigener war sehr wechselhaft. Bei meiner ersten Beratung hielt mich der Astrologe für einen Lehrer wegen Sonne in Haus 9. Es wäre möglich gewesen, war aber nicht richtig. Wir sollten den Klienten einen Weg – besser Wege – zeigen, ihr Leben zu leben, es ihnen aber nicht vorschreiben. Alles was wir vermögen ist, ihnen zu helfen, aber nicht Verantwortung für sie zu übernehmen. Und dabei dürfen wir eines nie vergessen, der Klient ist mehr als sein Horoskop. Was der Astrologe als Grenze sehen mag, bedeutet „auf der anderen Seite des Zauns“ die Freiheit des Klienten.
DAV: Herzlichen Dank für die saturnischen Ausführungen, die ihre Wirkung nicht verfehlen dürften. Ich bin gespannt auf die Reaktionen, denn wir werden auch den Online-Kongress so gestalten, dass die Möglichkeit zum Austausch besteht.
Mehr Informationen über die Arbeit von Bernhard Firgau: www.astrologenverband.de
Das Interview führte Klemens Ludwig.