Interview des Deutschen Astrologen-Verbandes
mit Claude Weiss
„Mein Interesse ist besonders geweckt, wenn Entwicklungen anders laufen als sie allgemein erwartet worden waren“
Jean Claude Weiss wurde am 6. Mai 1941 um 13:25 Uhr in Basel geboren. Er ist einer der bekanntesten Astrologen aus dem deutschsprachigen Raum, dazu ein renommierter Fachautor und Geschäftsmann.
Zunächst hat er an der ETH Zürich ein Studium als Agraringenieur absolviert, nicht zuletzt mit der Perspektive, im Ausland arbeiten zu können.
Seine erste Station war Südspanien, anschließend verbrachte er zwei Jahre in Indien. Bereits zuvor hatte er sich intensiv mit Yoga, asiatischen Religionen, Philosophie und Psychologie beschäftigt. In Indien kam er dann auch mit der Astrologie in Berührung. Bis 1977 arbeitete er in Führungspositionen der Industrie, um sich danach ausschließlich der Astrologie und Psychologie zu widmen.
Weiss ist Inhaber des 1978 von ihm gegründeten astrologischen Computerservice Astrodata AG in Zürich, bis zu diesem Jahr Präsident des Schweizer Astrologenbundes, Dozent an der SFER („Schule für Erwachsene“, Psychologische Astrologie und verwandte Gebiete), Autor astrologischer Fachbücher und Herausgeber der größten deutschsprachigen Astrologie-Zeitschrift ASTROLOGIE HEUTE. Daneben beschäftigt er sich intensiv mit mundan- und wirtschaftsastrologischen Fragen.
Klemens Ludwig sprach mit ihm über die Frage, ob sich Erfolg und Scheitern aus dem Horoskop ableiten lässt, ob wir unserem Schicksal unterworfen sind und welche Unterschiede es zwischen indischer und westlicher Astrologie gibt.
DAV: Du hältst den Eröffnungsvortrag auf unserem Astrologie-Kongress Ende September zu einem Thema, das sicherlich ebenso reizvoll wie kontrovers sein dürfte, „Konstellationen großen Erfolgs oder monumentalen Scheiterns – Was entscheidet darüber, ob wir zu den Gewinnern oder Verlierern gehören?“ Können wir die Antwort darauf dem Horoskop tatsächlich entnehmen?
Claude Weiss: Nein, es gibt bei der Frage nach „Erfolg“ oder „Scheitern“ natürlich keinen Determinismus, keine Garantie. Es gibt zwar Konstellationen, die das Thema aufwerfen aber es kommt darauf an, wie wir damit umgehen, und dafür möchte ich sensibilisieren.
DAV: Kannst du ein konkretes Beispiel bringen?
Claude Weiss: Nehmen wir den Jupiter/Pluto-Aspekt. Das ist eine sehr herausfordernde Stellung, unter der etwas ganz Besonderes entwickelt werden kann, die aber auch ein großes Scheitern andeuten kann. Mittelmaß gibt es dabei nicht. Die Frage ist bei der Konstellation, ‚kennt die Person ihre Grenzen?’ ‚Wie nah ist sie an der Realität?’ ‚Kann sie noch innehalten in ihrem Tun? Die Astrologie hat bei alledem die Möglichkeit, zeitliche Auslösungen zu erkennen.
DAV: Kannst du eine bekannte Person nennen, die typisch für dein Beispiel ist?
Claude Weiss: Für mich steht Saddam Hussein exemplarisch für eine problematische Art, diese Konstellation zu leben. Jupiter und Pluto befinden sich in seinem Radixhoroskop in gradgenauer Opposition. Er hat es als Revolutionär und Armeeoffizier weit gebracht, er hat seinen Präsidenten gestürzt, wurde zum uneingeschränkten und unangreifbaren Alleinherrscher über den Irak. Danach hat er aber systematisch weitere Größen der Weltpolitik herausgefordert, Ayatollah Chomeini und schließlich die USA. Letzteres wurde ihm zum Verhängnis, denn er hat seine Grenzen nicht mehr erkannt, er konnte nicht mehr aufhören, dadurch hat er seinen Untergang heraufbeschworen. Man kann es mit einem Jupiter/Pluto-Aspekt aber auch zu großem Reichtum und Ansehen bringen wie Bill Gates, der sie in enger Konjunktion hat oder Warren Buffet, mit einer weiten, aber applikativen Konjunktion.
DAV: Eine wichtige Frage ist dabei, woran misst du Erfolg? Am Materiellen? An Macht?
Claude Weiss: Keinesfalls nur daran, denn nach meiner Erfahrung ist Erfolg Verführung und Chance zugleich und im problematischen Fall wie ein Pakt mit dem Teufel. Es ist ganz wichtig, den Erfolg nicht in erster Linie auf der materiellen Ebene zu suchen, sonst kommt es früher oder später zum Scheitern. Viel wichtiger ist es, dabei von einem menschlichen Ideal angetrieben zu sein und ihn geistig zu leben. Insofern sehe ich Erfolg in erster Linie als Erfüllung, die jemand erfährt. Die wirklich Erfolgreichen zeigen immer auch Bescheidenheit.
DAV: Du hast viel zum Thema Wirtschaft und Weltpolitik unter astrologischen Gesichtspunkten geforscht und geschrieben. Bei den Themen geht es zwangsläufig um Erfolg, Macht oder Niederlagen, häufig genug auf der äußeren Ebene. Was fasziniert dich an dem Thema so?
Claude Weiss: Mein Interesse ist besonders geweckt, wenn Entwicklungen anders laufen als sie allgemein erwartet worden waren. Ein Beispiel ist der unerwartete Absturz der Börsen ab 2001, mit Tiefpunkt in den USA im Herbst 2002 und in Europa im Frühjahr 2003. Das hatte mit dem Saturn-Pluto-Zyklus zu tun, der damals eine Opposition bildete. Besonders signifikant ist es auch, wenn der Uranus hinzu kommt und zum Pluto einen harten Aspekt bildet, wie in den 1930er-Jahren und in der Zeit von 2008-2010. Man beachte aber auch, dass dem Börsencrash des Jahres 2008 die Jupiter/Pluto-Konjunktion in Schütze vom Dezember 2007 vorausging, die den Höhe- und Umschlagpunkt der Übertreibung verkörperte. Es ging um grandiose Gewinne oder grandioses Scheitern. Wir wissen, es war das Letztere.
DAV: Diese Fragen interessieren natürlich auch den Einzelnen. Hast du Erfahrungen damit, wie sich eine Umkehrung der vertrauten und erwarteten Entwicklung für ein Individuum auswirkt und wie sich das astrologisch erkennen lässt?
Claude Weiss: Es hat mich persönlich sehr frühzeitig interessiert, mit Hilfe der Astrologie meinen Lebensweg zu erkennen; oder überhaupt individuelle Lebenswege: Kommen wir dabei mit dem Schicksal in Kontakt? Damit meine ich nicht ein determiniertes Schicksal, dem wir unausweichlich ausgeliefert sind. Deshalb benutze ich statt Schicksal lieber den Begriff „Skript“, der aus der Transaktionsanalyse entliehen ist. Meine Erfahrung ist, dass wir durch Bewusstsein das Skript, für das wir uns als Kind entschieden haben, ändern können. Erfolg und Reichtum sind aufgrund des Horoskops alleine nicht nachweisbar. Kennen wir jedoch das gewählte Skript des Einzelnen, sind wir schon näher dran. Auf welcher Ebene jemand seine Konstellationen lebt, hat wiederum viel mit der sogenannten „Entwicklungshöhe“ zu tun, wie Thomas Ring jenen entscheidenden Faktor genannt hat, der aus dem Horoskop alleine nicht erkennbar ist.
DAV: Insofern hältst du dich mit konkreten Aussagen im Sinne des Vortragsthemas offenbar zurück?
Claude Weiss: Ich beobachte, dass eine bestimmte Konstellation von der einen Person als großer Erfolg erlebt wird, von der andern jedoch als Scheitern. Die entsprechenden Phasen können sich aber auch im Leben der gleichen Person ablösen. Den dahinter liegenden Mustern auf die Spur zu kommen, ist meine Motivation.
DAV: Du bist als junger Agraringenieur in Indien mit der Astrologie in Kontakt gekommen, wo sie ein hohes Ansehen hat. Hast du dich näher mit der vedischen Astrologie befasst?
Claude Weiss: Ich habe mich natürlich darin versucht und auch einen indischen Astrologen konsultiert, es entsprach aber nicht meinen europäischen Vorstellungen von „freiem Willen“. Ein Beispiel: Im meinem Radix habe ich eine Sonne/Saturn-Konjunktion. Als ich in Indien weilte, stand ich kurz vor meinem ersten Saturn-Return, von dem zwangsläufig die Sonne betroffen war, also nach traditioneller Vorstellung der Vater. Der indische Astrologe prophezeite mir deshalb, dass meinem Vater etwas passieren würde. Damit lag er aber weit daneben, denn mein Vater war bereits gestorben, als ich noch sehr klein war. Für ihn lag es wiederum weit außerhalb seiner Erfahrung, dass es jemand, der ohne Vater aufgewachsen ist, in noch jungen Jahren so weit hatte bringen können.
Die indische Astrologie, der ich damals Ende der 1960er-Jahre begegnete, erlebte ich als zu deterministisch, um den Entfaltungsmöglichkeiten des westlichen Menschen, mit dem Freiheitsgrad, den er heute geniesst, in ausreichendem Masse gerecht zu werden.
DAV: Herzlichen Dank für deine Ausführungen. Die Zuhörerinnen und Zuhörer sind gewiss gespannt, noch mehr zum Thema Erfolg und Scheitern zu erfahren.
Mehr Informationen über die Arbeit von Claude Weiss:
www.astrodata.com
Das Interview führte Klemens Ludwig.