DAV-Interview mit Rafael Gil Brand
„Zeit der Drachen“
Rafael Gil Brand, geb. am 5. Juni 1959 um 15:38 in Madrid und dort zweisprachig aufgewachsen, studierte Psychologie und Gestalttherapie in Hamburg. Seit seinem 21. Lebensjahr beschäftigt er sich mit der Astrologie. Schon früh haben ihn die alten jüdischen und arabischen Traditionen interessiert, so dass er sein Arbeits- und Forschungsgebiet beständig erweitert hat. Heute ist er einer der versiertesten Kenner der vedischen Astrologie, die er mit der hermetischen kombiniert.
Rafael lebt in Weener, Ostfriesland und bietet weltweit Online-Kurse und Webinare auf Deutsch und auf Spanisch an. Er ist Diplom-Psychologe, Geprüfter Astrologe DAV und EVVA, sowie Autor zahlreicher Artikel, Vorträge und der beiden Bücher „Lehrbuch der klassischen Astrologie“ (2000) und „Himmlische Matrix“ (2014).
Klemens Ludwig sprach mit ihm über die Bedeutung der universellen Drachen-Symbolik für die Astrologie, die Verbindung zur Mundanastrologie sowie seinen Zugang zur vedischen Astrologie.
DAV: Du wendest Dich auf dem kommenden Kongress einer Symbolik zu, die in vielen Kulturen populär ist, dem Drachen. Der Drachenthron der chinesischen Kaiser oder das Drachenblut in der Nibelungensage zählen zu den bekanntesten. Wo liegt der spezielle astrologische Ansatz?
Rafael Gil Brand: Der Drache ist in der Tat ein universelles und vielschichtiges Symbol. In meinem Vortrag werde ich aufzeigen, dass der Drache mehrfach im Zusammenhang mit dem Himmel und der astrologischen Symbolik auftaucht. Mein Fokus liegt insbesondere auf der Mondknotenachse, deren Pole bekanntlich als Drachenkopf und Drachenschwanz bezeichnet werden. Der Ursprung dieser Bilder hat mich schon immer fasziniert.
Die überlieferten Erhöhungsgrade der beiden Mondknoten liegen bei drei Grad Zwilling, beziehungsweise Schütze. Damit liegen sie fast genau dort, wo die Milchstraße die Ekliptik schneidet, nämlich bei circa sieben Grad Zwilling, beziehungsweise Schütze. Dort befinden sich heute die Sommer- und Wintersonnenwende. Solche Übergänge des Frühlingspunkts und der Sonnenwendpunkte über die Grade der Erhöhung markieren regelmäßig einen tieferen Umbruch und einen neuen zivilisatorischen Impuls.
DAV: Gibt es historische Beispiele für solche Entwicklungen, wenn die Äquinoktien die Erhöhung von Planeten berühren?
Rafael Gil Brand: Die gibt es, und das werde ich in meinem Vortrag nachweisen. Im 15. Jahrhundert zum Beispiel lief der Herbstpunkt über die Erhöhung des Merkur auf 15° Jungfrau. Ich rede dabei immer vom siderischen Tierkreis, mit dem die Alten und die Inder arbeiteten. Es war die Zeit, als der Buchdruck erfunden wurde und die Renaissance begann. Manche Historiker sehen in den Übersetzungen der hermetischen Schriften durch Marsilio Ficino den Startschuss dieser Epoche. Die Analogie zum Merkur drängt sich auf und die Errungenschaften der Renaissance muss ich sicher nicht näher beschreiben.
DAV: Was siehst du heute für Entwicklungen oder Umbrüche, wenn wir unter einer vergleichbaren Konstellation stehen?
Rafael Gil Brand: Ich sehe ein extremes Streben nach Wachstum und Profit, eine Gier und Raubbau, kollektiv wie individuell. Das hat es historisch in dem Maß noch nicht gegeben. Es ist eine gefährliche Zeit, denn der unkontrollierte Konsum bringt natürlich seine Schattenseiten mit sich. Die Achtung für die Umwelt fällt dahinter immer weiter zurück.
DAV: In der europäischen Tradition wird die Erhöhung der Mondknotenachse nicht unbedingt mundanastrologisch gedeutet, wie kommst du zu deinen Erkenntnissen?
Rafael Gil Brand: Die Finsternisse hat man immer als mundanastrologisch besonders relevant angesehen, aber den Zusammenhang zwischen Präzession und den Erhö-hungsgraden der Planeten hat vor mir niemand beobachtet, zumindest nicht dass ich wüsste. In der klassischen europäischen Astrologie gibt es so gut wie keine Geschichten oder Mythen über den Mondknoten. Seine astrologische Relevanz ist unumstritten, aber sie wird sehr lapidar und allgemein beschrieben. Ich bin über die klassische Astrologie zur vedischen Astrologie gekommen, und dort nimmt der Mondknoten nicht nur eine besondere Rolle ein, sein Charakter und seine astrologische Bedeutung werden auch wesentlich differenzierter beschrieben. Dabei ist mir aufgefallen, wie akkurat die Natur und Dynamik der Mondknoten unsere gegenwärtige Epoche wiederspiegelt.
DAV: Welcher Art ist diese Natur der Mondknoten?
Rafael Gil Brand: Die beiden Mondknoten werden in Indien als eine Art Planet gesehen, genauer, als Schattenplanet oder „chaya-graha“. Das Wort „graha“ für Planet bedeutet „Ergreifer“, also eine Kraft, welche die Person ergreift. In diesem Sinne wird auch den Mondknoten ähnlich den restlichen Planeten eine bestimmte Persönlichkeit verliehen. Die Mondknoten haben auch Namen: Rahu ist der Kopf des mythischen Dämons, und Ketu dessen Schwanz.
DAV: Dieser Personalisierung folgt die abendländische Astrologie offenkundig nicht. Dort bleibt es bei den Schnittpunkten, an denen sie die Bahnen von Sonne und Mond kreuzen.
Rafael Gil Brand: Das ist bei weitem nicht der einzige Unterschied. Die abendländische Astrologie hat eine eher ambivalente Haltung gegenüber der Mondknotenachse. Auf der einen Seite wird sie traditionell als Übeltäter gesehen. Das gilt vor allem für die Finsternisse, wenn die Achse auf der Neumond- oder Vollmond-Achse liegt. Finsternisse haben verständlicherweise Ängste ausgelöst.
Auf der anderen Seite aber wird der aufsteigende Mondknoten auch positiv betrachtet. Für mich sieht das so aus, als ob die moderne abendländische Astrologie – Kind ihrer Zeit – blind ist für die Schattenseite des Drachenkopfes. Mundan betrachtet ist die Gier ein wesentlicher Aspekt der globalen Ideologie geworden.
In der vedischen Astrologie ist nicht nur die Symbolik, sondern auch das Deutungsspektrum differenzierter.
DAV: Dann nenne doch bitte ein paar konkrete Beispiele.
Rafael Gil Brand: Rahu wird in den alten Texten zum Beispiel als Häretiker dargestellt, als Abtrünniger des Glaubens. Ketu steht wiederum für die radikale Abwendung von allem, was diesseitig ist, das kann Extremismus bedeuten, aber auch spirituelle Befreiung. Das sind nur zwei von mehreren Facetten, die in unserer Zeit besonders zutage treten.
DAV: Was reizt dich besonders an der Symbolik der Mondknotenachse?
Rafael Gil Brand: Ich habe den aufsteigenden Mondknoten direkt am Aszendenten, insofern ist bereits eine natürlich Affinität gegeben. Ich konnte aber mit der abendländischen Interpretation nie richtig etwas anfangen, weshalb ich früher den Mondknoten auch wenig Beachtung schenkte. Erst die vedische Astrologie hat mir einen Zugang dazu verschafft. Insbesondere ein Vortrag von Komilla Sutton im Jahre 2002 hat mir schlagartig auch für meine eigene Mondknotenachse die Augen geöffnet. Komilla hat auch ein schönes Buch über Rahu und Ketu geschrieben.
DAV: In der abendländischen Astrologie wird die Mondknotenachse vor allem als Karma-Achse gesehen. Das sollte der indischen Tradition doch entgegenkommen.
Rafael Gil Brand: Nach vedischem Verständnis ist das gesamte Horoskop ein Ausdruck unseres Karma und der daraus resultierenden Lebensaufgaben. In den klassischen Texten finden wir auch keinen besonderen Bezug der Mondknoten zum Karma. Man kann aber sagen, dass der absteigende Mondknoten, also Ketu, für seelische Komplexe steht, die erlöst werden wollen. Analog dazu steht Rahu, der aufsteigende, für die daraus resultierenden unerfüllten Wünsche, Illusionen, Sehnsüchte, auch Süchte, die wir projizieren. Das hat etwas sehr Aufwühlendes. Rahus Sehnsucht und Gier können wir auf eine innere Leere zurückführen, und der Versuch, in der äußeren, illusionären Welt Erfüllung zu erlangen endet häufig wiederum in der Leere, solange wir nicht wirklich Erlösung (Ketu) gefunden haben. Die Thematik finden wir in der Legende von Rahu wieder. Er möchte das Amrita, den Trank der Unsterblichkeit kosten. Der ist jedoch nur den Göttern vorbehalten, weshalb Vishnu die Schlange – die inzwischen unsterblich geworden ist – in Kopf und Schwanz trennt. Die abendländische Interpretation der Mondknoten erscheint mir da einseitiger.
DAV: Gab es einen bestimmten Anlass, ein Aha-Erlebnis für dich, dass du so tief in die Astrologie eingestiegen bist?
Rafael Gil Brand: Ich bin mit 20 Jahren in Spanien auf die Astrologie gestoßen. Das war ein paar Jahre nach Francos Tod, mitten in der gesellschaftlichen Öffnung. Wir waren alle begierig, Neues aufzunehmen, was unter Franco nicht möglich war. Ich war eher wissenschaftlich geprägt und habe mich von der Kirche klar abgegrenzt. Über Freunde kam ich mit der Astrologie in Kontakt, sowie mit anderen spirituellen Lehren wie das Tao te King von Laotse. Bei einem Freund entdeckte ich ein Buch über Astrologie, das mich so fasziniert hat, dass ich es nicht mehr aus der Hand legen konnte und die ganze Nacht nur gelesen habe. Es gab zu der Zeit einen Buchladen in Madrid, der vordergründig voll stand mit christlicher Literatur und Devotionalien. Auf Nachfrage holte der Inhaber aber aus dem Hinterzimmer Ephemeriden und die spannendste esoterische Literatur. Die große Esoterik-Welle schwappte erst zwei, drei Jahre später nach Spanien über.
DAV: Und dein persönlicher Beitrag zu der Entwicklung?
Rafael Gil Brand: Schon in den achtziger Jahren wurden in Spanien mehrere mittelalterliche Werke ins Spanische übersetzt. In den neunziger Jahren hat sich dann eine Gruppe von Kollegen und Kolleginnen gebildet, die alte Werke aus dem Lateinischen und Altspanischen ins Spanische übersetzte und veröffentlichte. Ich war ein Teil davon, denn ich hatte mich schon immer für die alten Texte und Quellen interessiert. Durch diese Arbeit bin ich sehr tief in die traditionelle Astrologie eingetaucht. Von dort gelangte ich nach Veröffentlichung meines „Lehrbuches der klassischen Astrologie“ zur vedischen Astrologie und zum siderischen Tierkreis.
DAV: Herzlichen Dank. Wir können gespannt sein auf deine Geschichten vom Drachen.
Mehr über die Arbeit von Rafael Gil Brand:
www.astrologie-zentrum.net
Das Interview führte Klemens Ludwig.