Menschliche Würde, Lebenssinn und würdevolles Sterben
Die aktuelle Gestirnskonstellation von Saturn und Chiron tiefer verstehen
Mit „Seelenbildern“, gemalt von der Autorin Sibylle Koops
Teil 1
Seit Dezember 2016 bis Dezember 2017 gibt es eine Quadratspannung zwischen dem Saturn im Tierkreiszeichen Schütze und dem Chiron im Tierkreiszeichen Fische. Dreimal wurde und wird diese Konstellation exakt:
29. Dezember 2016, 1. Mai 2017, 2. bis 3. November 2017
Als ich über die Herausforderungen dieser Zeitgeist-Spannung nachdachte, wurde ich von einer Freundin auf ein Buch aufmerksam gemacht, dessen Inhalt mir schlagartig einen Zugang für ein tiefes Verständnis schenkte.
Lebensentfaltung – Lebensreife – Ernte
Jeder Mensch trägt eine einmalige Mischung von schöpferischen Kräften in sich, die durch ihn lebendig werden wollen. Wie die Samen in einer Samenkapsel warten diese Anlagen auf die passenden Gelegenheiten, um im Konkreten zur Entfaltung zu kommen. Wie viele der mitgebrachten Samen aufgehen, weiß niemand. Es sind ihrer viele.
In der Astrologie entspricht diese Analogie dem Wachstumsprinzip des Tierkreiszeichens Schütze, in dem zur Zeit der Planet Saturn steht. Die Saturnkräfte fördern in der Persönlichkeit des Menschen Ernsthaftigkeit, Tiefe, Klarheit und die Fähigkeit, das Wesentliche herauszukristallisieren. Im Schützen geht es dabei um die Essenz des eigenen Lebens, von den vielen Äußerlichkeiten befreit, die sich drum herum ranken.
Sterben bedeutet das Ende einer Lebensform!
Sterben bedeutet die Befreiung der Essenz, die sich zu gegebener Zeit eine neue Form sucht!
Das Sterben der Frucht legt den Kern frei, in dem das Potential für neues Leben ruht!
Sterben innerhalb des Lebens und am Ende eines Menschenlebens
© Bild: Sterbend leben, Sibylle Koops
Die Schütze-Energien regen Wachstum, Ausdehnung, Blüte und Fruchtbildung an, der Saturn die Reduzierung, Rückbildung und Kristallisierung, um aus der Fülle das zu bewahren, was eine zeitlose Bedeutung hat.
Im Verlauf eines Lebens geht jeder von uns durch verschiedene Entwicklungszyklen, beginnt Neues und schließt Altes ab.
Wir füllen sie mit Leben, dadurch, dass wir ihnen eine persönliche Bedeutung geben.
Jede größere Lebensphase braucht, dass wir uns mit Dingen wie auch persönlichen Eigenschaften identifizieren und sie uns zu Eigen zu machen. Je tiefer ein Mensch Identifikation und auch Lebenssinn in bestimmten Lebensbereichen findet, desto größer wird das Bedürfnis, das Erreichte im Konkreten immer mehr auszudehnen und noch zu übertreffen. Der ständige Wunsch nach Wachstum ist an sich natürlich.
Doch braucht es eine Begrenzung und regelmäßige Erneuerung, um ein Wachstum in die Tiefe zu ermöglichen. Hat ein Mensch das Potential bestimmter Lebenserfahrungen ausgereizt, muss die dazu gehörige Lebensform „sterben“.
Hier einige Beispiele:
Jede Mutter, jeder Vater wird irgendwann die Erfahrung machen, die erwachsen gewordenen Kinder in ihr eigenes Leben entlassen zu müssen. Somit geht der Lebens-Schwerpunkt „Elternschaft“ in der bis dahin gelebten Form zu Ende.
Es steht an, die gewonnenen Erfahrungen in ihrer tieferen Bedeutung für die eigene menschliche Reifung zu erkennen – und sich anzuerkennen. Die Wertschätzung für die eingebrachte Lebensleistung ist enorm wichtig, um weiter gehen zu können. Doch auch das Erkennen von Versäumnissen oder Fehlern, kann zu einem konstruktiven Motor für zukünftige Entwicklungen werden.
Auch wenn Kinder immer im Herzen unsere Kinder bleiben, geht es nun um eine Rückbesinnung auf sich selbst.
Du bist mehr als diese eine Rolle, die Du ausgefüllt hast!
Du bist mehr als eine besondere Aufgabe, die Du gewählt hast!
Genauso ist es mit einem beruflichen Schwerpunkt. Eine Anstellung oder gar ein ganzer Berufszweig kann verschwinden. Ein Unternehmen kann bankrottgehen, die Gesundheit oder auch geistig-seelische Veränderungen können eine Neuorientierung fordern.
In jedem dieser Fälle ist es wichtig, nicht den Blick allein auf das Verlorene zu richten, sondern auf das eigene Innere mit seinen vielen Möglichkeiten zu gucken. Ein neuer Same möchte aufgehen! Wie kann ich das unterstützen? Solche Fragen öffnen den Blick und setzen Kräfte für eine Lösung frei.
Persönliche Lebensessenz als Würdigung seiner selbst – zeitlos, ewig !
Bei jedem Ende, jedem Tod eines vertrauten Lebens geht es darum, das Wesentliche der Erfahrungen bewusst mitzunehmen und zu würdigen!
Umso mehr Bedeutung braucht es eine solche Würdigung am Ende eines Menschenlebens!
Dabei spielt es keine Rolle, wie lang ein Leben gedauert hat. Ein Sterben in Würde hat unmittelbar mit einer Würdigung dieses Lebens für den Sterbenden selbst und für seine Angehörigen zu tun.
Den Anstoß für diesen Artikel gab die Buchempfehlung einer Freundin. Es heißt:
„Reden über Sterben“
herausgegeben von Elena Ibello und Anne Rüffer des Teams „Palliative Zürich“, einer Organisation, die sich der Sterbebegleitung widmet.
In diesem Buch gibt es einen ausführlichen Beitrag über eine in Kanada entwickelte Methode, die sich „Dignity-Therapie“ nennt und als eine Anwendung spiritueller Fürsorge (orig. spiritual care) am Lebensende verstanden wird.
Die darin geschulten Sterbe-Begleitpersonen bekommen unter anderem einen klar ausgearbeiteten Fragebogen an die Hand, um in nur dreimal einer Stunde Gespräch mit den Sterbenden Lebenswerte und Lebenswertes herauszukristallisieren und ihre persönliche Bedeutung spürbar werden zu lassen.
Individuelles Leben und das Echo im unendlichen Sein – Heilung einer scheinbar unüberwindlichen Trennung
© Bild: Leben entsteht, Sibylle Koops
Wie nun hat mich dieser Ansatz in Bezug auf die Zeitgeist-Konstellation des Saturn – Chiron-Quadrats inspiriert?
Die Lebenskräfte des Saturn geben einem Menschen ein klar abgegrenztes Identitätsgefühl, wobei die Schütze– (und Jupiter-)Kräfte diese Grenzen immer wieder ausdehnen und so die Persönlichkeit wachsen lassen.
Der Chiron steht symbolisch für das immer wieder als schmerzhaft empfundene Wissen um die Trennung von einer allumfassenden Einheit, die sich aus dem Erleben von Individualität ergibt.
Im Tierkreiszeichen der Fische geht es um die Auflösung trennender Ego-Grenzen zugunsten einer wieder gewonnenen Verbundenheit mit der Schöpfung, dem Göttlichen, dem allumfassenden Sein.
Was die Schütze- und die Fische-Kräfte gemeinsam haben, sind ihr Streben nach wahrer „religio“, einer Rückbindung des Menschen an seinen göttlichen Ursprung.
Während es unter dem Schütze-Thema eher um eine persönliche Beziehung mit einer personifizierten Gottesgestalt geht (Gott-Vater, Heilige Mutter Gottes, Gottessohn Jesus-Christus, Buddha, Gottheiten verschiedener Kulturen) – geht es beim Zeichen der Fische um eine unmittelbar empfundene Verbindung seiner selbst als Mensch mit allem, was lebt. Diese Verbundenheit überwindet die Trennung, in dem die göttliche Essenz im eigenen Wesenskern gleichzeitig zur göttlichen Essenz in allen anderen Lebensformen spürbar wird.
Die Wahrheit beider Zugänge zu einer göttlich-religiös-spirituellen Verbundenheit existiert neben und miteinander. Und eben dieses Miteinander von nur scheinbar sich widersprechenden Wirklichkeiten ist mit der 90°-Spannung zwischen Saturn in Schütze zum Chiron in den Fischen angesprochen.
Bis zum Punkt einer Lösung oder Erlösung wird diese Spannung meist als ein Widerspruch erlebt, in dem sich das Trennende schmerzhaft in den Vordergrund drängt. Der Wunsch nach unendlicher Verbundenheit kann gleichzeitig eine Angst auslösen, sich endgültig zu verlieren, persönlich unterzugehen. Das gilt für Einzelpersonen ebenso wie für Gesellschaften.
Die an den Flüchtlingswellen entflammten Glaubenskämpfe und kulturellen Identitätsfragen zeichnen ein deutliches Bild von den existenziellen Ängsten, die unter einer solchen Spannungslage in Bewegung geraten. Diese Ängste einfach mit einer politischen Polarisierung zwischen links und rechts abzutun, entspringt wiederum dem Wunsch, sich in einer vertrauten Ideologie auf sicherem Boden zu fühlen.
Wirkliche Erlösung in dieser starken Spannungslage kann nur durch eine wertfreie Auseinandersetzung mit der Urangst entstehen, die tief im Menschsein verwurzelt ist. Dafür gibt es keine simple Zuordnung oder einfache Lösungsstrategie.
Persönlich wie gesellschaftlich geht es um ein Sterben (Saturn als Hüter der Schwelle und Sensenmann) gewohnter Strukturen, Identitäten und Weltanschauungen (Schütze) – und – um eine Rückverbindung mit dem Kern des eigenen Daseins mit einer gleichzeitigen Wahrnehmung einer uns alle verbindenden Ebene des Lebens (Fische).
© Bild: Erblühende Hoffnung, Sibylle Koops
Sich der Werte der eigenen Individualität bewusst zu sein, sie anzuerkennen und zu würdigen, beinhaltet ein „Ja“ zur eigenen Einmaligkeit. Begrenzt zu sein und die eigenen Grenzen zu achten, ist Teil dessen. Sich dieser Begrenztheit aber bewusst zu sein, fordert von jedem, die Wirklichkeiten anderer, außerhalb des eigenen Radius, anzuerkennen.
Das ist eine Form der Demut, die sich selbst nicht klein zu machen braucht.
Etwas Sterben zu lassen angesichts des Wissens um Unsterblichkeit, braucht eine Weltsicht, die Zeit und Zeitlosigkeit gleichzeitig integriert. Erweitern wir unser Verständnis von Zeit (Saturn in Schütze) von einem linearen Verlauf (Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft) hin zu einer möglichen Gleichzeitigkeit dieser drei Daseinsformen, stehen wir mitten im Paradox von Endlich- und Unendlichkeit.
Angst vor einem Untergang der persönlichen Einmaligkeit löst sich in dem Moment auf, wo die Ewigkeit des einmaligen Beitrags eines jeden Menschen und jeder Kultur nicht mehr in Frage steht.
Ich möchte meine Ausführungen an dieser Stelle erst einmal abschließen.
Es folgt ein 2. Teil