Immer wieder wird die Frage an mich herangetragen, was es mit dem 13. Tierkreiszeichen auf sich hat. Im Januar 2011 sprach der Astronom Parke Kunkle mit einem Reporter und meinte, es sei zum einen nicht logisch, die Sonne im Januar zwischen Steinbock und Wassermann anzusiedeln, wie es die Astrologen tun, wenn diese doch bis zum 15. Februar im Sternbild Steinbock stehe. Außerdem müssten die Tierkreiszeichen nicht nur verschoben, sondern um ein 13. Sternbild ergänzt werden. Denn zwischen Skorpion und Schütze liegt noch der Schlangenträger als eine weitere Konstellation. Die eigentliche Botschaft war aber eine ganz andere: Wieder einmal hat ein Astronom mit aller Deutlichkeit demonstriert, dass er sich noch nie mit der Geschichte seines eigenen Faches beschäftigt hat. Denn sonst wüsste er, dass der Tierkreis der Astrologen vor 2400 Jahren in Babylonien aus dem Jahreskalender heraus entwickelt wurde. Deswegen heißt er auch tropischer Tierkreis, abgeleitet von griechisch trópoi (Wendepunkte), weil die vier Hauptpunkte der Sonnenbahn die Zeichen festlegen. Es gibt Keilschriften, bei denen die zwölf Sektoren sogar noch nach den Monaten benannt worden sind. Durchgesetzt hat sich im Laufe der Zeit jedoch die Praxis, dass die dahinterliegenden Sternbildkonstellationen als Namensgeber verwendet werden.
Es ist sicher richtig, dass sich die Sternbilder aufgrund der Präzession von den Tierkreiszeichen wegbewegen. Da der tropische Frühlingspunkt jedoch unverändert an der Schnittstelle von Ekliptik und Himmelsäquator ist, besteht für die Astrologen kein Handlungsbedarf etwas an ihrem System zu ändern. Bei den Fixsternkonstellationen, mit denen die Astronomen gerne kontra die Astrologie argumentieren, sieht es anders aus. Diese sind permanent »im Fluss«. Sie werden seit 2000 Jahren beliebig umbenannt, anders zusammengestellt, geteilt, neu erfunden oder wieder ganz abgeschafft. Schon im Altertum wurde der vordere Teil des Skorpions abgetrennt und in Waage umbenannt, um die Sternbilder an den tropischen Tierkreis anzupassen. Ptolemäus hat 48 Sternbilder aufgezeichnet. Im 16. Jahrhundert kamen noch die Sternbilder der Südhalbkugel dazu. Ab dem 17. Jahrhundert wurden allerdings immer wieder neue Konstellationen kreiert, die so fantasievolle Namen trugen wie Eidechse oder Fuchs und Gans oder gar »Machina Electrica«, »Honores Friderici« oder »Telescopium Herschelii«. So zählte man im 18. Jahrhundert schon insgesamt 106 Konstellationen.
Die Internationale Astronomische Union IAU setzte der Willkür im Jahr 1922 ein Ende und legte endgültig 88 Sternbilder fest. Dabei wurden auch die Grenzen der Konstellationen neu bestimmt. Das führte dazu, dass ein Teil des Sternbildes Schlangenträger (Ophiuchus) in den Bereich zwischen den Konstellationen Skorpion und Schütze hereinragt. Da die Astrologie jedoch beständig mit dem von den Konstellationen unabhängig entstandenen tropischen Tierkreis arbeitet, können die Sternbilder weiterhin beliebig umgruppiert werden, ohne dass die Astrologie grundlegend reformiert werden müsste. Kommen wir zurück zur Ausgangsfrage, ob es ein 13. Tierkreiszeichen gibt? Meine Antwort ist ein eindeutiges Ja. Es heißt allerdings nicht Schlangenträger, sondern Zeitungsente.
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Reinhardt Stiehle
Reinhardt Stiehle ist vor allem als Verleger astrologischer Literatur bekannt; seine Verlage Chiron und astronova umfassen die derzeit größte Bandbreite astrologischer Fachbücher. Seinen verlegerischen Anspruch formuliert er so: „Es ist unser Anliegen, das gesamte Spektrum einer seriösen und verantwortungsvollen Astrologie ohne Schubladendenken aufzuzeigen. Die Klassiker der Astrologie machen vergessene oder unbekannte Quellentexte wieder zugänglich. Allgemein verständliche Fachthemen werden in den Standardwerken der Astrologie behandelt. In dieser Reihe werden aber genauso innovative Arbeitsgebiete oder neue Planeten vorgestellt. Die Reihe Aspekte der Astrologie wendet sich mehr an die Insider und greift spezifische Fragestellungen auf. Unsere Aufgabe sehen wir darin, wertvolles astrologisches Wissen zugänglich zu machen oder zu erhalten.“
Reinhardt Stiehle selbst tritt als Herausgeber von Sammelwerken, aber auch mit kompetenten Einleitungen und Erläuterungen hervor. Er übersetzt viele Werke ins Deutsche, insbesondere aus dem Englischen.