Serie Astropoesie: III. Merkur und Uranus
Gedichte, Bilder und Gedanken
Von Martin Trosbach und Rita Gäßler
„Der schauende Spieler“ von Rita Gäßler, Regensburg
Orpheus. Eurydike. Hermes
Von Rainer Maria Rilke (Auszüge)
Das war der Seelen wunderliches Bergwerk.
Wie stille Silbererze gingen sie
als Adern durch sein Dunkel. Zwischen Wurzeln
entsprang das Blut, das fortgeht zu den Menschen,
und schwer wie Porphyr sah es aus im Dunkel.
Sonst war nichts Rotes.
Felsen waren da
und wesenlose Wälder. Brücken über Leeres
und jener große graue blinde Teich,
der über seinem fernen Grunde hing
wie Regenhimmel über einer Landschaft.
Und zwischen Wiesen, sanft und voller Langmut,
erschien des einen Weges blasser Streifen,
wie eine lange Bleiche hingelegt.
Und dieses einen Weges kamen sie.
Voran der schlanke Mann im blauen Mantel,
der stumm und ungeduldig vor sich aussah.
Ohne zu kauen fraß sein Schritt den Weg
in großen Bissen…
Dürfte er sich einmal wenden (wäre das Zurückschaun
nicht die Zersetzung dieses ganzen Werkes,
das erst vollbracht wird), müßte er sie sehen,
die beiden Leisen, die ihm schweigend nachgehn:
Den Gott des Ganges und der weiten Botschaft,
die Reisehaube über hellen Augen,
den schlanken Stab hertragend vor dem Leibe
und flügelschlagend an den Fußgelenken;
und seiner linken Hand gegeben: sie.
…
Sie war schon nicht mehr diese blonde Frau,
die in des Dichters Liedern manchmal anklang,
nicht mehr des breiten Bettes Duft und Eiland
und jenes Mannes Eigentum nicht mehr.
Sie war schon aufgelöst wie langes Haar
und hingegeben wie gefallner Regen
und ausgeteilt wie hundertfacher Vorrat.
Sie war schon Wurzel.
Und als plötzlich jäh
der Gott sie anhielt und mit Schmerz im Ausruf
die Worte sprach: Er hat sich umgewendet -,
begriff sie nichts und sagte leise: Wer?
Fern aber, dunkel vor dem klaren Ausgang,
stand irgend jemand, dessen Angesicht
nicht zu erkennen war. Er stand und sah,
wie auf dem Streifen eines Wiesenpfades
mit trauervollem Blick der Gott der Botschaft
sich schweigend wandte, der Gestalt zu folgen,
die schon zurückging dieses selben Weges,
den Schritt beschränkt von langen Leichenbändern,
unsicher, sanft und ohne Ungeduld.
R.M.Rilke, aus: Neue Gedichte (1907)
Hermes, griechisch für „Merkur“, tritt in Rilkes langem Gedicht, das ich hier nur in Auszügen vorstellen will, als Seelenführer auf, als „Psychopompos“. Merkur ist ja auch der Gott der Wege und Wegkreuzungen und so erscheint in Rilkes zweiter Strophe auch „des einen Weges blasser Streifen“, in der Unterwelt anzusiedeln, welchen Orpheus, der mythische Sänger, beschreitet, hinter sich seine Gattin Eurydike, die er vom Tode zu erretten sucht. Orpheus, Sinnbild für den suchenden Menschen, der gerade über die Wege der Kunst – Dichtung, Malerei, Musik und Tanz – sein Schicksal zu umschreiben sucht, wird begleitet und unterstützt von Merkur, dem Meister von Sprache, Klang und Symbolik, dem göttlichen Magier. Dass Merkur nicht nur analytisch scharfe klare Erkenntnis bringt, sondern durchaus auch in den dunklen, mysteriösen Bereichen der Seele beheimatet ist, erweist dieses Gedicht aufs Deutlichste; spielt es doch in zwielichtigen Schattenreichen, in „der Seelen wunderlichem Bergwerk“.
Von ähnlich hermetischer Thematik ist auch das folgende Gedicht geprägt:
Merkur
Der Mensch ist wie ein Blinder,
der da wandelt an eines Abgrunds Rand,
ich führe ihn, ich leite ihn,
halt ruhig ihn an seiner Hand
Er geht und schwankt und sucht und sehnt
sich nach des Abgrunds Tiefe,
doch wagt er nicht zu wecken dort
den Drachen, der ihn riefe
bei seinem wahren Namen:
Wort, Zahl und Klang in einem,
der Name, der das innerste Wesen
kann wieder ihm vereinen
So steht er blind, blickt lang und bang
und zweifelt an dem Tritte,
ich flüstre leis ihm Schicksalsklang,
bring ihn in seine Mitte
Da fühlt er ferner Horizonte Licht,
macht auf und lernt zu sehen,
selbständig nun beginnt er froh
neuen Weg zu gehen
Ich aber lächle leis und still
und wandle mich ins Reine,
ins Pure und unendlich Klare,
ins Große und ins Kleine
Seh in des Abgrunds dunkle Nacht,
die nun im Licht entschwindet
und segne jedes Menschenherz,
das Wahres in sich findet!
Martin Trosbach
Zugegebenermaßen habe ich hier Merkur in jugendlichem Idealismus recht überhöht dargestellt: ist er doch auch Trickster und Ver-rückter, der unsere Denkmaßstäbe auch völlig auf den Kopf stellen kann, für Überraschungen immer gut ist. Seit seiner Entdeckung im 18.Jhd. fällt diese Rolle freilich noch mehr dem Uranus zu, dem „kosmischen Narren“, welcher auch als „höhere Oktave“ des Merkur betrachtet wird.
„Zufall“ von Rita Gäßler, Regensburg
Sein geheimnisvoller, unberechenbarer Lichtfunke in uns inspiriert uns immer wieder mit verblüffenden Gedanken und Ideen, die auch als scheinbar verrückte Zufälle auftreten können. Ideen, die uns in die luftigen Wolkenreiche geistiger Höhenflüge führen können, in denen die Grenzen von Zeit und Raum nicht mehr zu gelten scheinen:
Urvögel, engelgleich
Urvögel, engelgleich
strömt wohl dort, an Winden reich
in Himmelsmeere, Wolkenflüsse,
Könige der Tanzgenüsse!
Mein Blick, eu´r Schrei zutiefst verbunden,
Besänftiger der Starrheits-Wunden,
Befleißiger von Fluggedanken,
um die sich dunkle Träume ranken:
schrankenlose, zweifelsfreie
Sarkophage alter Schreie
Vas hermeticum, es sei:
Gib, was wahr und einzig reich,
ins Gebären endlich frei:
Urseele, engelgleich
Martin Trosbach
„Drei Figuren in Rot von Rita Gäßler
Das „Vas hermeticum“ ist das hermetische Gefäß, ein Begriff aus der Alchimie. Ein Gefäß, das gut verschlossen bleiben muss, in dem die geheimnisvolle, zu wandelnde Substanz vor sich hin köcheln muss, oft sehr lange Zeit, ehe es geöffnet werden darf und die Wandlung zum Gold des Sonnenhaften geschehen kann. Wir brauchen Führung aus der geistigen Welt, um diese Prozesse richtig durchführen zu können; das gewähren die göttlichen Boten und Magier Merkurius/Uranus, welche hier im Bild der „Urvögel“ aufgerufen werden. Die alten Sarkophage meinen alte Wunden, Traumata, Enttäuschungen, zu denen uns die metaphorischen Hinweise von Merkur oder Uranus führen können. Und dann darf sich die wahre, eigentliche Kraft und Aufgabe unserer Seele entfalten, kann die Seele in die offene Weite des Wassermann fliegen, ihre Ideen und Visionen beginnen zu verwirklichen! Dazu wird dann freilich auch die erdende Kraft des Saturn benötigt, welcher uns in der nächsten Folge begegnen wird.
Der Dichter, der uns zu Beginn bereits in der Person des Orpheus begegnet ist, ist derjenige, der die verblüffenden Hinweise jener höheren Inspiration auch zu einer sinnvollen und ästhetisch befriedigenden Form „ver-dichtet“. Daher mag am Ende dieser Folge ein Gedicht über das Dichten selbst stehen:
Verdichtung
Der Dichter berührt das Heiligtum
schwankender Brückenzoll wird ihm zum Lohn
der Dichter verdaut seinen spärlichen Ruhm
Dämonen und Engeln wird er zum Sohn
Der Henker tut, was getan werden muß
der Dichter sendet ihm herzlichen Gruß
da auch er verdichtet, vernichtet, was er muß
und hängt, was lose im Freien schwingt
Der Dichter hofft, dass Jenes gelingt
ja: auch ein Henker gelegentlich singt –
und ist die Welt ganz weggedichtet
so hat der Dichter was angerichtet…
Martin Trosbach