Der synergetische Tierkreis
Tierkreis-Debatte, von Hans Kurt Steilen
In unregelmäßigen Abständen haben wir in den Newslettern der vergangenen Monate eine Diskussion über den Tierkreis, seinen Ursprung sowie Argumente für den tropischen und siderischen veröffentlicht. Hans Kurt Steilen, der die Diskussion angestoßen hat, veröffentlicht dazu nun einen letzten Beitrag, in dem er seine Idee von einem „synergetischen Tierkreis“ darlegt. Sie können die Diskussion auf unserer Homepage im DAV-Journal nachverfolgen. Direkte Beitrags-Links finden Sie am Ende des Artikels.
Die Kombination aus „tropischen“ und „siderischen“ Tierkreis zur korrekten Radixerstellung
Prolog
Der Tierkreis ist die grundlegende Referenz der Astrologie, auf die die Radix-Erstellung aufbaut. Die Wahl des „richtigen“ Tierkreises, als „kosmisches“ Koordinatensystem, entscheidet maßgeblich darüber, welche Qualität die anschließende astrologische Deutung erhält. Die westliche Astrologie arbeitet überwiegend mit dem „tropischen“ Tierkreis, doch es gibt auch eine Minderheit, die den „siderischen“ Tierkreis zu Grunde legt. Zwischen beiden „Lagern“ kommt es oft zu heftigen Diskussionen darüber, welcher von diesen beiden Tierkreisen die kosmischen Verhältnisse am Genauesten abbildet, bzw. die wahrheitsgetreuesten Informationen liefert.
Die verschiedenen Arten der Tierkreise
Historisch gesehen ist der erste Tierkreis in Babylonien entwickelt worden. Er zeichnet sich dadurch aus, dass er das erste „kosmische“ Koordinatensystem darstellt, ein Kreis mit zwölf gleichlangen Abschnitten zu je 30 Winkelgraden, auf dem geozentrische Winkel dargestellt werden. Der Kreis hat dabei eine Referenz zum sogenannten „siderischen“ Frühlingspunkt, da er mit einem „Ankerstern“ verbunden ist. Um welchen genauen Ankerstern es sich dabei gehandelt hat, darüber streiten sich die Historiker heutzutage wie die alten Römer um des Kaisers Bart.
Dieses Wissen ist für die heutige Astrologie nicht so enorm wichtig, allerdings die Tatsache, dass man eben zunächst einen solchen Messkreis schaffen musste, um überhaupt die Auswirkungen der Präzession erkennen zu können, sollte einmal bewusst wahrgenommen werden. Ein Argument der Freunde des „siderischen“ Tierkreises ist die Behauptung, dass dieser der echte Tierkreis sein muss, weil ihn die alten „weisen“ Babyloniener als Ur-Tierkreis entwickelt haben. Irgendwann aber hat man dann den sogenannten „tropischen“ Tierkreis entwickelt, bei dem man die Winkeldrift, die auf Grund der Präzession eintritt, herausrechnet. So gilt Hipparch als Begründer dieses Tierkreises in der Antike. Ernst Walter Fricke hat dann mit der Einführung der Präzessionskonstanten im letzten Jahrhundert dem ganzen einen wissenschaftlichen Charakter verliehen. Aus dem Referenzpunkt wird so der „tropische Frühlingspunkt“ abgeleitet. Die DE200/LE200 Ephemeriden des JPL (Jet Propulsion Laboratory der NASA) bilden heute die genauste Referenz für den „tropischen“ Tierkreis, der keinen Bezug zu irgendwelchen Sternen hat.
Die Existenz des siderischen Tierkreises geriet lange Zeit in Vergessenheit, bis im „Zweistromland“ Mesopotamien die bekannten Tontafeln der Serie MUL.APIN gefunden wurden. Cyril Fagan war dann derjenige, der diesen Tierkreis wieder einer breiten Öffentlichkeit, überwiegend im angelsächsischen Raum, in der westlichen Welt publik machte, indem er Forschungen anstellte und einen eigenen siderischen Tierkreis definierte, mit Aldebaran als Bezugsstern und die Übereinstimmung des Frühlingspunktes (= 0°0′ 0“ WIDDER) wurde in diesem System für das Jahr 221 n. Chr. nachgeprüft.
Grundsätzlich unterscheiden sich die beiden Tierkreise nur dadurch, dass beim tropischen die Auswirkung der Kreiselbewegung der Erdachse herausgerechnet werden und der Frühlingspunkt immer an der gleichen Stelle ist und beim siderischen dieser Frühlingspunkt langsam wandert. Dieses Winkelmaß zwischen beiden Tierkreisen wird für den siderischen nach FAGAN/BRADLEY in den „Ephemeriden mit tropischer Referenz“ als SVP-Wert angeben, der heute bei etwa 5° Fische liegt. Der tropische Frühlingspunkt liegt im Vergleich dazu immer bei 0° 0′ 0“ Widder.
Der indische Tierkreis ist auch ein siderischer, allerdings mit unterschiedlichen Definitionen, die die Winkelverschiebung betreffen. Der Wert AYANAMSA wird ebenfalls in den Ephemeriden angegeben. Hier existieren allerdings mehrere Definitionen nebeneinander. Der bekannteste ist der AYANAMSA-Wert nach LAHIRI, der von der indischen Regierung offiziell anerkannte.
Vollständigkeitshalber soll noch der „moderne astronomische Tierkreis“ erwähnt werden, der von Wissenschaftlern der Astronomie definiert wurde, der allerdings kein Tierkreis im eigentlichen Sinne ist, sondern nur die Lage der Sternbilder auf dem Kreis der Ekliptik beschreibt und so gesehen überhaupt kein Koordinatensystem darstellt. Er dient nur dazu, die Astrologie in der breiten Öffentlichkeit ad absurdum führen zu können und ist wissenschaftlich gesehen überhaupt keine Referenz für die Astrologie.
Der Streit der „Sideriker“ und der„Tropikaner“
Cyril Fagan war von seiner Idee, dass der siderische Tierkreis der „einzig Wahre“ ist, so überzeugt, dass er ihn vollends in der westlichen Welt etablieren und somit den tropischen Tierkreis total verdrängen wollte. In Amerika ist ihm dies zum Teil gelungen. Man kann ihn daher salopper Weise den großen „Sideriker“ nennen. Aber in Deutschland beispielsweise findet der tropische Tierkreis als Referenz zur Radix-Erstellung überwiegend Anwendung.
Die in der Minderheit befindlichen Befürworter der siderischen Referenz liefern sich dann oft mit den „Tropikanern“ die heftigsten Grundsatzdiskussionen, wobei keiner den anderen wohl richtig überzeugen kann.
So hält jeder an seinem Tierkreis fest, den er schon so viele Jahre benutzt, natürlich samt den ganzen damit verbundenen astrologischen Erfahrungen. Aber man kann sich natürlich auch die Frage stellen, warum die Kritiker meiner eigenen Tierkreistheorie so extrem auf mich einwirken und meine Argumente einfach nicht annehmen wollen. Also ist es doch besser, das Ganze nochmals zu reflektieren und sich der wirklichen astronomischen Grundlagen des Tierkreises bewusst zu machen.
Die grundlegenden Bewegungen der Erde
Die Erde führt zwei unterschiedliche Bewegungen in unserem Sonnensystem aus. Zum einen ist es die fast kreisförmige Bewegung innerhalb eines Jahres um das Zentralgestirn, unsere Sonne und zum anderen ist es die Eigenrotation um die Erdachse, die ca. 23,5° um die Senkrechte auf der Ekliptik geneigt ist. Die Zeit beträgt hierbei 23 Std. 56 Min., die um 4 Minuten kürzer ist als unser „bürgerlicher“ Tag. Dies wird als siderischer Tag bezeichnet und es ist eben die Kreiselbewegung dieser Achse, die man Präzession nennt, deren Auswirkungen ein Beobachter des Sternenhimmels auf der Erde als Wandern des Frühlingspunktes wahrnimmt. Die Bewegung ist natürlich mit 1° in ca. 72 Jahren so langsam, das es ein wirkliches Beobachten natürlich unmöglich macht. So bewegt sich die Erde im Sonnensystem innerhalb eines tropischen Jahres einmal um den Tierkreis, aber die Erde dreht sich auch innerhalb eines siderischen Tages einmal um dieses Referenzsystem. Der gesamte Kosmos bewegt sich so scheinbar innerhalb dieser kurzen Zeit einmal um uns selbst.
Die Daten für die Planetenstände (Sonne, Mond, Planeten, Asteroiden) beziehen sich auf das Frühlingsäquinoktium und den tropischen Tierkreis. Es sind die geozentrischen sphärischen Winkel der ekliptischen Länge. Die Winkel werden immer vom Erdmittelpunkt zum Mittelpunkt des jeweiligen Gestirns bestimmt. So werden alle Himmelskörper auf nur einen Punkt reduziert. Auch die Erde wird bei dieser Sicht zum Punkt reduziert und rotiert dabei theoretisch nicht und die Kreiselbewegung der Erdachse spielt hierbei auch keine Rolle.
So stellt der tropische Tierkreis für dieses System die „ewig feststehenden Himmelskoordinaten“ dar, wobei die Auswirkungen der Präzession mit einem hohen Rechenaufwand heraus gerechnet werden. Für den scheinbaren Sonnenlauf ist der „tropische“ Tierkreis derjenige, der die kosmischen Verhältnisse exakt beschreibt.
Für die Ermittlung des Häusersystems ist die Auswirkung der Erdrotation verantwortlich. Die Erde kreist hier scheinbar innerhalb eines siderischen Tages einmal um den Tierkreis und hierbei spielt die Lage der Erdachse im Weltraum doch eine ganz entscheidende Rolle. Durch die Kreiselbewegung der Erdachse wandert der Frühlingspunkt alle 72 Jahre ca. 1° gegen den Tierkreis-Sinn. Dieser Umstand muss bei der Betrachtung dieses “Systems“ auf jeden Fall berücksichtigt werden und so muss bei der Bestimmung der Häuserspitzen der „siderische“ Tierkreis herangezogen werden.
Also kurz und bündig gilt für die Radix-Erstellung:
Ermittlung der Planetenstellungen ——–> Referenz: „tropischer“ Tierkreis
Ermittlung des Häusersystems ————–> Referenz: „siderischer“ Tierkreis
So kommen beide Tierkreise zum Einsatz und die große Streitfrage, welcher Tierkreis der einzig Wahre ist, wird ganz nebenbei auf salomonische Weise geklärt. Es sind eben beide zu berücksichtigen. Es ist nur eine Frage der Sicht auf die unterschiedlichen Bewegungen die unsere Erde in unserem Sonnensystem vollführt.
Die Definition des „synergetischen“ Tierkreises
Man kann aus diesen Erkenntnissen sowohl den „tropischen“ als auch den „siderischen“ Tierkreis als relevant bezeichnen. Aus astrologischer Sicht wirken beide quasi als „Tierkreis-System“. Eine passende Bezeichnung ist daher aus dem Thesaurus heraus: „der synergetische Tierkreis“.
Der Begriff aus dem Griechischen “syn“ (zusammen) und “ergon“ (Werk) beschreibt dieses „Zusammenwirken“ sehr trefflich. Für eine korrekte Radix-Erstellung benötigt man beide, sowohl den „tropischen“ als auch den „siderischen“ Tierkreis in einer Art Kombination.
Die „Tropikaner“ haben in der Vergangenheit die Planetenstellungen exakt ermittelt und das Häusersystem fehlerhaft dargestellt und die „Sideriker“ haben das Häusersystem exakt ermittelt aber die Planetenstellungen fehlerhaft im Radix dargestellt.
Beide müssen sich von einigen ihrer Traditionen trennen. Bemerkenswert dabei ist, dass die Herleitung des „synergetischen“ Tierkreises voll auf der astronomischen Seite liegt.
Wenn man den siderischen Tierkreis nach FAGAN/BRADLEY benutzt, muss man bei einer Radix, die rein „tropisch“ erstellt wurde, alle Häuserspitzen um 25° entgegen dem Tierkreis-Sinn drehen, um die „synergetische“ Erstellung zu erhalten.
Es ist ein Leichtes für einen Programmierer eines Astro-Programms die exakte Verdrehung per Option zu aktivieren, um ein Radix zu erstellen, welches den „synergetischen“ Tierkreis zu Grunde legt.
Der Ausgangspunkt der Radix-Erstellung bleibt der tropische Tierkreis und wenn alle Häuserspitzen bestimmt sind, werden alle um den SVP-Wert entgegen dem Tierkreis-Sinn gedreht. Somit werden die Planetenstellungen „tropisch“ erfasst und das dazu gehörende Häusersystem basiert auf dem siderischen Tierkreis.
Kreis-System-Abstraktum zum „synergetischen“ Tierkreis
Quelle: Hans Kurt Steilen
Der Ouroboros, die Schlange die sich in den eigenen Schwanz beißt, verkörpert den Kreis des „siderischen“ Zodiaks. Dort wo sich Anfang und Ende treffen liegt der siderische Frühlingspunkt, der sich in ca. 25700 Jahren einmal um den tropischen Tierkreis bewegt. Der große rote Kreis symbolisiert die Unendlichkeit des Universums und ist Bestandteil des Kreisdiagramms, welches über eine komplexe Transformation die Ebene der Ekliptik, die sich bekannter Maßen unendlich weit in den Kosmos ausbreitet, auf die endliche Fläche des Kreises reduziert. Der Ursprungspunkt in den alle roten Kreisbögen hineinlaufen und den alle roten Kreise tangential berühren ist der Widderpunkt des grün eingezeichneten „tropischen“ Tierkreises. Zum Zeitpunkt der Definition des siderischen Tierkreises lag der Ouroboros mit seiner „Bißstelle“ genau auf diesem Widderpunkt. Für den siderischen Tierkreis nach FAGAN war dies das schon erwähnte Jahr 221 n. Chr. In den fast 1800 Jahren bis heute hat sich die „Bißstelle“ um ca. 25° auf ca 5° FISCHE gedreht, da wo das Auge der Schlange ist.
Epilog
Wahrscheinlich wird die Einführung des „synergetischen“ Tierkreises unter den Astrologinnen und Astrologen, die nach der „westlichen“ Astrologie arbeiten ziemlich viel Staub aufwirbeln, denn in ca. 80% der Radix-Zeichnungen wechseln die Häuserspitzen das Zeichen. So wechselt ein SCHÜTZE-AC beispielsweise zum SKORPION-AC und was das für das astrologische Beratungsgespräch bedeutet, erklärt sich von selbst.
Schlüssig werden dann auch die Aussagen der „Sideriker“, die behaupten, dass zur Geburtszeitkorrektur mit Benutzung des „siderischen“ Tierkreises die besseren Resultate erzielt werden können, bzw. bei Verwendung des „tropischen“ Tierkreises keine sicheren Ergebnisse zu erwarten seien. Das ist vom Standpunkt des „synergetischen“ Tierkreises auch kein Wunder, liegt man mit einem „tropischen“ Häusersystem per se schon 80 bis 90 „Äquivalent“-Minuten daneben. Die Planeten in den Zeichen werden allerdings nur im tropischen Tierkreis korrekt dargestellt. Hier müssen die „Sideriker“ umdenken.
Anmerkung der Journal-Redaktion
Um der Entwicklung dieses Themas und der damit verbundenen Stellungnahmen in Form von Kommentaren jeweils unter den Beiträgen besser folgen zu können, sei auf die beiden früheren Artikel von Hans Kurt Steilen, Die astronomische und astrologische Basis des Tierkreises und Die Geburtsstunde des Tierkreises sowie auf den darauf antwortenden, Der siderische Zodiak von Rafael Gil Brand, mit den jeweils dort eingestellten Kommentaren und Stellungnahmen, hingewiesen.
Der Autor
Hans Kurt Steilen
Jahrgang 1960
Sonne in LÖWE
Aszendent LÖWE
Studium der Elektrotechnik von 1984 – 1988 / Dipl. Ing.(FH), danach als Produktentwickler für Messgeräte und als Programmierer tätig. Seit 2003 intensives Studium der Astrologie. Mitglied der Astrologischen Gesellschaft Frankfurt am Main e.V. von 2005 – 2014